NETZWERK ARTIKEL 3

Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.

Regelungsbereiche für Anti-Diskriminierungs- bzw. Gleichstellungsvorschriften

Eröffnung der Diskussion - neue Phase

Aus einem Brief des Forums behinderter Juristinnen und Juristen

an alle Behindertenverbände und -organisationen, an alle Betroffenen und Interessierten
Kassel, 14.06.1999

Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat bei seinem Treffen am 12.6.1999 beschlossen, neue Vorschläge für Anti-Diskriminierungs- bzw. Gleichstellungsvorschriften zugunsten von behinderten Menschen zu erarbeiten. Wir wollen dabei unseren Entwurf von 1995 erheblich erweitern und aktualisieren. Von Anfang an möchten wir uns bei dieser Arbeit mit den Betroffenen und ihren Organisationen rückkoppeln. Wir wollen so erreichen, dass das fertige Produkt, das wir um den 3.12.1999 herum der Öffentlichkeit vorstellen möchten, von möglichst vielen mitgetragen wird. Nur so kann erreicht werden, dass unsere Vorstellungen dann auch im Gesetzgebungsverfahren eine wichtige Rolle spielen können.

Nachfolgend finden Sie die Liste der Regelungsbereiche, für die wir Gesetzgebungsvorschläge erarbeiten wollen. Wir haben uns darum bemüht, die wichtigsten Bereiche zu berücksichtigen. Bitte schauen Sie sich die Liste aufmerksam an. Wenn Sie feststellen sollten, dass aus Ihrer Sicht wichtige Dinge bisher unberücksichtigt sind, teilen Sie uns dies bitte mit. Wenn Sie bereits Vorschläge für neue gesetzliche Regelungen haben, wären wir ebenfalls dankbar, wenn Sie uns diese zur Verfügung stellen könnten, damit wir sie ggf. (unter Quellenangabe selbstverständlich) in unseren Entwurf aufnehmen können.

Regelungsbereiche eines Gleichstellungsgesetzes für Behinderte

1.     Allgemeines

1.1   Definition Behinderung – angelehnt an Entwurf 1995

1.2    Definition Diskriminierung –
verschiedene Vorschläge liegen vor, einer muss ausgewählt werden oder neue Formulierung, möglicherweise angelehnt an die Rechtsprechung des BverfG; aufgenommen werden soll auch die Klarstellung eines Diskriminierungs-/Benachteiligungsverbots
1.3   Definition Barrierefreiheit –
allgemeine Definition, die dann in den anderen Vorschriften über Barrierefreiheit ergänzend herangezogen werden können.
Vor allem sollte klargestellt werden, dass Barrierefreiheit Zugänglichkeit für alle Behinderte (Gehbehinderte, Rollstuhlfahrer, Sehbehinderte, Blinde, Gehörlose, Schwerhörige) bedeutet, grundsätzlich über den üblichen Zugang erfolgen muss und einen Zugang ohne fremde Hilfe ermöglichen muss; Nutzung darf nicht vermeidbar erschwert sein.
Die Nutzung darf nicht beschränkt sein auf die Zweckentsprechende Nutzung, sondern auf jede übliche Nutzung (Zugang zum Kino nicht nur zum Film anschauen, sondern auch zum Popcorn kaufen an der Kasse).
1.4   Behindertenbeirat/Beauftragter –
Einrichtung eines Behindertenbeirats und/oder Gleichstellungsbeauftragten, geschlechterquotierte Gremien; unklar wie konkret wir dies formulieren wollen; es soll sowohl ein Gremium als Beirat als auch ein/e Behindertenbeauftragte/r gefordert werden.
Essenziell soll sein, dass eine behinderte Person Beauftragte/r sein soll. Nicht einer Behörde zugeordnet, sondern parlamentarisch verantwortlich.
1.5    Berichtspflicht der Bundesregierung über Entwicklung der Diskriminierungsverbote
1.6   Verbandsklagerecht -
die materiellrechtliche Grundlage soll allgemein geregelt werden, die verfahrensmäßige Ausgestaltung dann in den einzelnen Verfahrensgesetzen. Die Einzelheiten sind noch nicht ganz klar.
Es wird möglicherweise eine Formulierung fürs Zivilrecht und eine fürs öffentliche Recht geben.
1.7   Die "Anerkennung" der Gebärdensprache -
soll in den allgemeinen Teil aufgenommen werden. Konkretisierungen sollen dann in den einzelnen Teilen aufgenommen werden. Ansonsten soll in BBiG und HRG Vorschriften für die Ausbildung verankert werden.

2.     Zivilrecht

2.1   Allgemeines Diskriminierungsverbot
2.2    Neuregelung im Recht der Geschäftsfähigkeit –
Änderung § 105 BGB. Es gibt in anderen Ländern das Anfechtungsmodell (Erklärungen Geschäftsunfähiger sind nicht nichtig, sondern anfechtbar) und die Angleichung an die beschränkte Geschäftsfähigkeit.
Letzteres wird wohl im Augenblick im BMJ überlegt.
2.3    Diskriminierungsverbot im Vertragsrecht –
Einschränkung der Vertragsfreiheit bei Diskriminierung Behinderter, mit Beweiserleichterung (Verweisung auf 2.5)
2.4    Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht –
Anlehnung an § 611a BGB, mit Beweiserleichterung (Verweisung auf 2.5), Erweiterung § 75 Abs. 1 BetrVerfG, § 1 Abs. 3 KSchG
2.5   Diskriminierungsverbot bei Rechtsausübung –
gegen die Rechtsprechung Behinderte als Reisemangel, beim Nachbarstreit, mit Beweiserleichterung. Hier soll eine allgemeine Regelung für die Beweiserleichterung geschaffen werden, auf die dann in anderen Bereichen verwiesen werden kann.
2.6   Haftungsrecht – Korrektur des § 828 Abs. 2 BGB
2.7   Schmerzensgeldrecht –
pauschaliertes Schmerzensgeld bei Verstoss gegen Diskriminierungsverbot, in Anlehnung an Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen; einen Mindestschadensersatz wollen wir nicht vorschlagen.
2.8   Mietrecht/WEG –
Recht auf behindertengerechten Umbau einer Wohnung; hier muss die Abgrenzung zur Eigentumsgarantie des Art. 14 GG beachtet werden: nur zumutbare Umbaumaßnahmen müssen möglich sein.
2.9   AGBG – Verbot diskriminierender AGBs –
vor allem auch Allgemeiner Versicherungsbedingungen; ggf. muss die Möglichkeit der Kenntnisnahme von AGBs neu geregelt werden für blinde/sehbehinderte Menschen, die den Hinweis auf die AGBs nicht lesen können; Klagerecht von Verbänden
2.10  Besserer Schutz von Einwilligungsunfähigen im Betreuungsrecht –
keine Zustimmung des Betreuers zu lebensbeendenden Maßnahmen, keine Einwilligung in fremdnützige Forschung (beides in § 1904 BGB aufnehmen)
2.11   Änderungen im Erbrecht –
bezüglich der Errichtung eines Testaments § 2233, in Anlehnung an die Entscheidung des BVerfG
2.12 § 16 VVG kein Hinweis des Versicherungsnehmers auf Behinderung


3.     Öffentliches Recht

3.1    Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr

3.1.1 Barrierefreie Fahrzeuge im öffentlichen Personenverkehr

3.1.2 Zugänglichkeit des Luftverkehrs – Änderungen im Luftverkehrsgesetz

3.1.3 Barrierefreie und kontrastreiche Gestaltung öffentlicher Verkehrsräume –
Änderung des BFernStrG, BAutobahnG
3.1.4 Barrierefreiheit von Bahnhöfen

3.2    Barrierefreiheit von Gebäuden

3.2.1 Konkretisierung im BauGB

3.2.2 Barrierefreiheit im Gaststättengesetz

3.2.3 Barrierefreiheit in der Gewerbeordnung

3.2.4 Barrierefreiheit im sozialen Wohnungsbau –
Änderung des II. WoBauG in Anlehnung an Musterbauordnung
3.3    Ausbildungsrecht

3.3.1 Diskriminierungsverbot, Barrierefreiheit, Anerkennung Gebärdensprache und Recht auf Assistenz in HRG

3.3.2 Diskriminierungsverbot etc. in BBiG

3.4    Medien/Kommunikation

3.4.1 Benachteiligungsverbot im Telekommunikationsgesetz

3.4.2 Zugangsrecht im Informations- und Kommunikationsdienstegesetz

3.4.3 Behindertengerechte Web-Siten (?)

3.5   Sonstiges

3.5.1 Barrierefreiheit zu Wahllokalen und Nutzbarkeit von Wahlscheinen für Sehbehinderte/Blinde im BwahlG

3.5.2 Diskriminierungsverbot im Beamtenrecht

3.5.3 Öffentliche Fördermittel nur bei Einhaltung von Gleichstellung


4.    Sozialrecht

4.1   Pflegerecht

4.1.1 Recht auf persönliche Assistenz, Arbeitgebermodell im SGB XI

4.1.2 Recht auf gleichgeschlechtliche Assistenz

4.1.3 Pflegevergütung grundsätzlich nach Zeitaufwand (keine Module)

4.2    Schwerbehindertenrecht

4.2.1 quotierte Schwerbehindertenvertretung

4.2.2 quotierte Verwendung des Ausgleichsabgabe

4.2.3 Merkzeichen Gl

4.3  Rehabilitationsrecht

4.3.1 wohnortnahe Rehabilitationsmaßnahmen mit Kinderbetreuung

4.3.2 unabhängige Beratung

4.3.3 Konkretisierung ambulant vor stationär

4.3.4 Aufnahme von Haushaltshilfe für schwangere behinderte Frauen im SGB V

4.4    Sozialhilferecht

4.4.1 Änderung des § 3a BSHG

4.4.2 Konkretisierung "angemessener Umfang" der Unterkunft


5.     Strafrecht und Strafverfahrensrecht

5.1    Erweiterung § 130 (Volksverhetzung) um Personenkreis der Behinderten –
Vorschlag im grünen Gesetzentwurf
5.2    Verbesserung des § 179
(sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen)
5.3    Festlegung in § 376 StPO,
dass Erhebung der öffentlichen Klage i.d.R. im öffentlichen Interesse liegt, wenn behinderte Menschen aufgrund der Behinderung Opfer von Straftaten wurden –
Vorschlag im Grünen Gesetzentwurf
5.4    Verbesserung des Nebenklagerechts – Vorschlag im SPD-Entwurf


6.     Umsetzungsmöglichkeiten

6.1   Verbandsklagerecht in der ZPO

6.2   Verbandsklagerecht im ArbGG

6.3   Verbandsklagerecht in VwGO, SGG und FGG

6.4    Beteiligungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren

6.5    Änderung § 187 GVG



c/o Dr. Andreas Jürgens,
Karl-Kaltwasser-Str. 27,
34121 Kassel

Tel. 0561/9324985; Fax 0561/9324984

e-mail: Andreas_Juergens@t-online.de

Ihr E-Mail-Kontakt zur Geschäftsstelle: HGH@nw3.de
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