Ottmar Miles-Paul: Das NETZWERK ARTIKEL 3 hat sich in den letzten Jahren immer wieder für ein Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte stark gemacht. Wie weit ist dieses Vorhaben mittlerweile fortgeschritten? | |||||
Dr. Sigrid Arnade: Die rot-grüne Regierungskoalition hat ja immer wieder versprochen, dass das Bundesgleichstellungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Seit einigen Monaten arbeiten nun die verschiedenen Ministerien auch tatsächlich fieberhaft daran, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Ende August wurde der Referentenentwurf auf der Bundespressekonferenz vorgestellt und jetzt fanden die ersten Anhörungen der Verbände und der Länder im Bundesministerium für Arbeit statt. Da die Grundrichtung des Gesetzes allgemein positiv bewertet wurde, gehe ich davon aus, dass der Plan, das Gesetz am 7. November im Kabinett zu verabschieden, eingehalten wird. Dann könnte recht schnell die erste Lesung im Deutschen Bundestag erfolgen. | |||||
Das heißt, jetzt wird´s richtig Ernst. Von der
Verwirklichung des Vorhabens, ein für verschiedene benachteiligte Gruppen
relevantes zivilrechtliches Gleichstellungsgesetz zu verabschieden, ist
bisher allerdings noch gar nichts zu sehen. Hier sind wir besonders von
Justizministerin Herta Däubler-Gmelin enttäuscht, deren vielen schönen
Worten bisher keine praktische Umsetzung folgte.
Ottmar Miles-Paul: Der Referentenentwurf wurde also positiv aufgenommen. Wo gibt es denn noch Schwachstellen aus der Sicht der Behindertenbewegung? Dr. Sigrid Arnade: Der Referentenentwurf ist keinesfalls das perfekte Werk unserer Träume, es enthält aber eine Reihe von sehenswerten Regelungen, die die Durchsetzung der Gleichstellung Behinderter zukünftig erleichtern werden. Schwachstellen weist der Referentenentwurf m.E. noch im Bereich der Zugänglichmachung der öffentlichen Verkehrsmittel auf. Hier müssen unbedingt klare Fristen vorgeschrieben werden, ab wann die neuen Fahrzeuge und Anlagen behindertengerecht sein müssen. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss klar sein, dass kein Cent mehr in eine Verkehrsinfrastruktur investiert werden darf, die nicht für alle zugänglich ist. So darf es auch keine Verweichlichung des Entwurfes geben, so dass auch klar ist, dass ab 2010 alle Wahllokale in Deutschland barrierefrei zugänglich sein müssen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die bisherige Formulierung in §13 des Referentenentwurfs des Bundesgleichstellungsgesetzes zur Zulassung von Verbänden, die verbandsklageberechtigt sind. Die bisherige Formulierung, nach dem der Eintritt als Mitglied, das in der Mitgliederversammlung volles Stimmrecht hat, jedermann ermöglicht werden muss, der die Ziele des Vereins unterstützt, schließt Verbände aus, die bewußt nur behinderten Menschen ein Stimmrecht einräumen. Dies wäre ein unakzeptabler Rückschritt in der Behindertenpolitik. Wichtig ist uns auch, dass ähnlich wie im Berliner Gleichstellungsgesetz, auch auf Bundesebene dem Deutschen Behindertenrat ein Vetorecht bei der Berufung des Behindertenbeauftragten durch die Bundesregierung eingeräumt wird. Im Hinblick auf das Konsensprinzip des Behindertenrates wäre dies überhaupt kein Problem und würde wirklich nur dann wirken, wenn alle Mitgliedsorganisationen des Deutschen Behindertenrates erhebliche Probleme mit der Berufung des entsprechenden Beauftragten hätten. Ottmar Miles-Paul: Wie schätzt du die Chancen ein, noch positive Veränderungen zu erreichen? Dr. Sigrid Arnade: Hinsichtlich der Verbandsklage und der Benennung des Behindertenbeauftragten rechne ich mir noch sehr gute Chancen aus. Was die Festschreibung von konkreten Fristen für barrierefreie neue Verkehrsmittel angeht, bedarf es sicherlich noch erheblicher Lobbyanstrengungen, denn die Widerstände scheinen mir hier besonders groß. Ottmar Miles-Paul: Was kann man dafür tun, dass wir in dieser wichtigen Frage erfolgreich sind? Sigrid Arnade: Gerade jetzt in der heißen Phase der Verabschiedung des Gesetzes ist es wohl wichtiger denn je, dass wir uns einmischen. Dabei sollten wir bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit deutlich machen, dass ein solches Gesetz einen Fixpunkt setzen muss, ab dem keine neuen Verkehrsmittel mehr geduldet werden, die nicht für alle zugänglich sind. Also, Briefe schreiben, Veranstaltungen mit Abgeordneten organisieren, sich bei Veranstaltungen zu Wort melden, Resolutionen in den Verbänden verabschieden und an die Abgeordneten schicken, etc. etc. Wir müssen besonders jetzt ganz praktisch deutlich machen, welch große Ungerechtigkeit der noch weitgehende Ausschluß von der Mobilität für uns darstellt. Es gibt also sehr viel, das wir tun können, um hier noch mehr zu erreichen. Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank und viel Erfolg |
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