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Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung

Landesgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen

und

Referentenentwurf für ein ...tes Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften



Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen, ZsL Mainz e.V. begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf außerordentlich. Die Verwirklichung der Bürgerrechte ist eine der grundlegenden Forderungen der Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen, der wir angehören.


Nachdem am 1. Mai 02 das Bundesgleichstellungsgesetz in Kraft getreten ist, folgt Rheinland-Pfalz als erstes Land mit einem Landesgleichstellungsgesetz. Hierbei ist hervorzuheben, dass die Landesregierung parallel zum Bundesgleichstellungsgesetz an ihrem Entwurf gearbeitet hat, so dass dieser nun rasch vorgelegt werden konnte. Das Landesgleichstellungsgesetz ist für uns als Behinderte von enormer Bedeutung. Nur auf Landesebene können die für die Gleichstellung so wichtigen Bereiche des barrierefreien Bauens, der integrativen Beschulung und des zugänglichen Bus- und Schienennahverkehrs geregelt werden. Ein starkes Landesgleichstellungsgesetz mit klaren Standards und Sanktionsmöglichkeiten zur Einhaltung dieser Standards ist deshalb erforderlich.



Unsere Vorschläge und Forderungen:


Begriff der Barrierefreiheit (§ 2 Abs. 3)


Die bereits sehr gute Definition von Barrierefreiheit, in der es am Schluss heißt: „... ohne fremde Hilfe nutzbar und zugänglich“ soll um den Begriff auffindbar ergänzt werden. Dies stellt klar, dass Orientierungsmöglichkeiten für Blinde und Sehbehinderte geschaffen werden. Einrichtungen, die zugänglich und nutzbar sind, müssen auch über eine Zuwegung mit entsprechenden Orientierungssystemen verfügen.



Beweislastumkehr (§ 3 Abs. 2)


Diese Regelung halten wir für besonders lobenswert!



Besondere Belange behinderter Frauen (§ 4)


Hier verweisen wir auf die beigefügte Stellungnahme von KOBRA als Ergänzung



Maßnahmen öffentlicher Stellen (§ 5)


Damit kein Vorwand für Untätigkeit geliefert wird, muss diese Regelung klarer gefasst werden. Wir schlagen die Nennung eines (Mindest-) Prozentsatzes für den Anteil des Haushaltes und eine Frist zur Erreichung der Barrierefreiheit vor. Ein Prozentsatz kann direkt eine Wirkung entfalten (wie z.B. für Kunst am Bau) und eine Frist gibt den öffentlichen Stellen Planungssicherheit.



Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken (§ 6)


Bescheide und Vordrucke sollen zur Nutzbarkeit für Menschen mit Lernschwierigkeiten (geistig Behinderte) ebenso in einfacher Sprache ausgefertigt werden.



Barrierefreie Informationstechnik (§ 7)


In Abs. 2 schlagen wir die Formulierung: „und die dabei anzuwendenden Standards nach Maßgabe der technischen, finanziellen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten und deren Zertifizierung festzulegen“. Dadurch wird die Einhaltung der Standards gesichert und es werden weniger Klagen durch die Behindertenverbände nötig sein.



Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr (§ 9)


Ebenso wie in § 5 sind hier klar genannte Fristen erforderlich, damit die notwendigen Umbauten und Einrichtungen nicht bis in eine ferne Zukunft verschoben werden können. Die hier genannten Regelungen sollen ebenso wie in § 7 durch eine Zertifizierung abgesichert werden.


In Abs. 2 gibt es für Neubauten und Um- oder Erweiterungsbauten (nicht nur die großen) eine Ausnahmeregelung, obwohl die Barrierefreiheit bei neuen Projekten eigentlich selbstverständlich sein müsste. Wir fordern, den Begriff "sollen" durch "müssen" zu ersetzen sowie die Formulierungen „schrittweise“ und „soweit wie möglich“ zu streichen und durch Fristen zu ersetzen. Erst dann wird klar, wie klein oder groß die Schritte sein müssen.



Landesbehindertenbeirat (§ 12)


Um die direkte Mitwirkung behinderter Menschen zu verbessern, schlagen wir vor, dass die Mitglieder in Abs. 2 Pkt. 1 Behinderte oder deren gesetzliche VertreterInnen sein müssen, und die in Pkt. 2 - 4 genannten Mitglieder Behinderte oder deren gesetzliche VertreterInnen sein sollen.



Einschub zum Referentenentwurf für ein ...tes Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften


Behindertenbeiräte geben auf kommunaler Ebene wichtige Impulse für die Umsetzung der Gleichberechtigung behinderter Menschen. Durch die Bundes- und Landesgleichstellungsgesetze werden neue Aufgaben auf sie zukommen (z.B. durch deren Beteiligung bei der Aufstellung von Nahverkehrsplänen nach dem BGG). Um die direkte Mitwirkung behinderter Menschen als ExpertInnen in eigenen Angelegenheiten zu verbessern, soll hier ebenfalls festgelegt werden, dass die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder Behinderte oder deren gesetzliche VertreterInnen sind.



Umsetzungsfristen (§ 14)


Die in Abs. 1 genannten Fristen für Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sind unter der genannten Ausnahmeregelung als Verpflichtung wichtig. Wie bereits in unseren Anmerkungen zu den §§ 5 und 9 erwähnt, sind Fristen für die Herstellung von Barrierefreiheit in bereits bestehenden öffentlichen Einrichtungen nötig. Hier schlagen wir einen ressourcenorientierten Ansatz mit kurzen Fristen nach Vorbild des US-amerikanischen ADA (Americans with Disabilities Act) vor: „Readily Achievable“ - „umgehend erreichbar“ oder: „Was gemacht werden kann, muss auch umgehend realisiert werden“ ist der Leitgedanke dieser Regelung. Beispiel: In Sec.36.304 (Removal of barriers) des ADA wird das Vorgehen für den Bestand an öffentlichen Gebäuden (z.B. Gaststätten, Läden etc.) geregelt. Es wird die Größe des Geschäfts, die Anzahl der Beschäftigten und der Umsatz als Ausgangspunkt genommen, um den zumutbaren Aufwand zur behindertengerechten Gestaltung zu ermitteln. Jedes Unternehmen ist verpflichtet seine Angebote anzupassen, jedoch in Abhängigkeit der jeweiligen Ressourcen. Wenn ein Betreiber nachweist, durch die Maßnahmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu kommen, so müssen nicht direkt alle Umbauten durchgeführt werden, sondern werden nach Maßgabe einer Prioritätenliste zeitlich gestaffelt. Dieses Vorgehen ermöglicht auch den Bestand an öffentlichen Gebäuden nach § 51 Abs. 2 LbauO ab sofort zur Barrierefreiheit zu verpflichten, ohne dass dadurch wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Große Unternehmen wie Hotelketten mit ausreichendem Ertrag sind sofort verpflichtet, in größerem Umfang aktiv zu werden (Zugang, Zimmer, Sanitärräume etc.), bei der Dorfkneipe beispielsweise muss zunächst nur der Eingang zugänglich gemacht werden und später erst die Toilette nutzbar gemacht werden. Nähere Informationen und auch Leitfäden mit konkreten Beispielen finden Sie im Internet unter www.ada.gov.


Für öffentliche genutzte Busse und Bahnen schlagen wir eine Frist zur Herstellung der Barrierefreiheit von maximal 10 Jahren vor. Damit ist ausreichend Zeit für Neuinvestitionen in den Fuhrpark gegeben. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, dass Verkehrsunternehmen wie der ORN immer noch behindertenfeindliche Hochflurbusse neu anschaffen.


Zu Art. 28 (Landesbauordnung) Damit die Eingliederung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt, ist die Ergänzung von Abs. 2 um den Punkt „Arbeitsstätten“ nötig. Die in Abs. 2 genannten öffentlichen Gebäude sind mit einer Frist von einem Jahr umzugestalten, jedoch unter Berücksichtigung des „readily achievable - umgehend erreichbar“ - Grundsatzes.


Art. 31 Auch bei kleinen Camping- und Wochenendplätzen fordern wir die Verpflichtung zur Barrierefreiheit. Auch hier kann der „readily achievable - umgehend erreichbar“ - Grundsatz gelten.


Bei den Regelungen zu Kindertagesstätten und Schulen ist eine Verpflichtung zur Integration erforderlich. In Art. 37 und 43 werden die Worte „sollen“ durch „müssen“ ersetzt. Um dies zu erreichen, muss die Formulierung „wenn hierfür die sächlichen, räumlichen, personellen und organisatorischen Bedingungen geschaffen werden können“ durch die Formulierung „hierfür sind die sächlichen, räumlichen, personellen und organisatorischen Bedingungen zu schaffen“.


Zu Art. 54 schlagen wir folgende Formulierung vor: „Der Zugang zu öffentlich zugänglichen Kulturdenkmälern muss barrierefrei im Sinne des § 2 Abs. 3 des Landesgesetzes sein. Dabei ist die Eigenart und Bedeutung des jeweiligen Kulturdenkmals zu berücksichtigen“.


Bei der Zusammenstellung des Landesrundfunkbeirats sollten sich die aktuellen Strukturen der Behindertenarbeit wider spiegeln. Die zu berücksichtigenden Organisationen in Art. 56 sollen nach dem Drei-Säulen-Modell der Zusammensetzung des nationalen Behindertenrats zusammengestellt werden (Säule 1:VdK, Sozialverband Reichsbund und BDH, Säule 2:BAGH und Säule 3:BAG C,ISL, ABiD und Weibernetz e.V.). Jede der Säulen (auf Rheinland-Pfalz bezogen) sollten zwei VertreterIn entsenden.



Stellungnahme von KOBRA (Koordinations- und Beratungsstelle für behinderte Frauen Rheinland-Pfalz) zum Regierungsentwurf

Gleichstellungsgesetzt für Menschen mit Behinderung


a) Allgemein begrüßenswerte Aspekte, die  zur Verbesserung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen beitragen


b)  Aus der Sicht von Frauen mit Behinderung begrüßen wir:


c) Mängel bzw. Lücken im Gesetz

Zu § 4 (besondere Belange behinderter Frauen)

Unseres Erachtens fehlt im Gesetz wie auch in der Begründung eine Konkretisierung der in § 4 angeführten „Maßnahmen, die dem Abbau oder dem Ausgleich bestehender Ungleichheiten dienen“. Nach unserem derzeitigen Einblick in die Bestimmungen finden sich in keinem Artikel des Gesetzes konkret benannte Benachteiligungen, die es gilt, mittels festgelegter Rechte oder Maßnahmen abzubauen. (Möglicherweise fehlt uns hier der nötige juristische Sachverstand, um dies mit abschließender Sicherheit behaupten zu können.)


Trotzdem hierzu ein Beispiel:

Als eine zentrale Forderung zur Prävention sexualisierter Gewalt und zur Wahrung der Menschenwürde gerade für die Gruppe der Frauen mit Behinderung fordern behinderte Frauen seit Jahrzehnten das Recht auf gleichgeschlechtliche Pflege/persönliche Assistenz. Daß Frauen bzw. insbesondere behinderte Mädchen und Frauen keine Handhabe haben, um eine weibliche Pflegekraft/Assistenz zu verlangen (und damit faktisch wie potentiell Opfer von Gewalt und sexuellen Übergriffen in der Pflege werden), ist als eklatante Ungleichheit zu werten. Hier gilt es, rechtliche Grundlagen zur Beseitigung von geschlechtsspezifischen Benachteiligungen zu schaffen.

Auf Landesebene bzw. für die entsprechenden Landesgesetze - z. B. hier das Landeskrankenhaus- oder Landesaltenpflegegesetz - hieße dies, die Forderung nach dem Wahlrecht der Pflege-/Assistenzbedürftigen bezüglich des Geschlechts der Pflege- bzw. Assistenzperson gesetzlich zu verankern.


In diesem Zusammenhang fordern wir also:

1. Es ist zu prüfen, in wie weit das Recht auf Wahl der Pflegeperson (Frauenpflege) umgesetzt werden kann.

2. Alle durch den § 4 berührten Rechtsbereiche müssen auf Konkretisierung

bezüglich der für Frauen mit Behinderung erforderlichen Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheiten hin überprüft werden. (Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf § 7 Bundesgleichstellungsgesetz, der explizit betont: „Bei der Anwendung von Gesetzen zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist den besonderen Belangen behinderter Frauen Rechnung zu tragen.“ D.h.: Die besonderen Belange von Frauen mit Behinderung müssen für die einzelnen Gesetze erst noch genauer bestimmt und definiert werden. Hier steht noch viel Arbeit an.


Zu § 11 (Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen)

In der Aufgabenbeschreibung des/der Landesbehindertenbeauftragten ist nicht vorgesehen (muss daher festgeschrieben werden), daß der/die Landesbehindertenbeauftragte verpflichtet ist, sich für den Abbau der spezifischen Diskriminierungen von Frauen mit Behinderung einzusetzen und mit den Interessenvertretungen behinderter Frauen und allen Gleichstellungsstellen zusammen zu arbeiten. Diese Forderung von Frauen mit Behinderung gilt es aufzunehmen, um zu garantieren, daß sowohl der Abbau von geschlechtsspezifischen nachteilen als auch die notwendige Sensibilisierung der in Frage kommenden Stellen durch „ein weiteres Instrument“ im Blick gehalten, sicher gestellt und forciert wird.


Zu § 12 (Landesbehindertenbeirat)

Die Formulierung in § 12 (2) Satz 3 „bei den Vorschlägen und bei der Berufung ist auf eine angemessene Vertretung von Frauen zu achten“ läßt im schlimmsten Falle eine Nicht-Umsetzung des Ziels der Besetzung zu möglichst gleichen Teilen befürchten. Darüber hinaus ist „Angemessenheit“ ein juristisch außerordentlich schwammiger Begriff. Ziel muß sein, als Priorität die Paritetische Besetzung anzustreben! Nur so kann eine stabile, auf Dauer gestellte Interessenvertretung von Frauen mit Behinderungen sichergestellt werden. Eben weil zu erwarten ist, daß eine Parität schwierig umzusetzen sein wird, ist es um so wichtiger, daß der Begriff der Angemessenheit durch eine andere Formulierung ersetzt wird. Diese sollte das anzustrebende Ziel der Parität enthalten. (Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf das Bundesgremiengesetz, in dem festgeschrieben ist, daß Gremien immer zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen müssen).


d) Sonstige ergänzende Anmerkungen

Für eine abschließende Bewertung des § 4 haben wir momentan selber noch Beratungsbedarf, sodaß wir hier ersatzweise und für den Moment nur aus den „frauenpolitischen Mindestanforderungen an ein Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen“ des „Netzwerk Artikel 3“ zitieren wollen:

1. Der Abbau und die Verhinderung geschlechtsspezifischer Benachteiligungen müssen als eine Aufgabe des Gleichstellungsgesetzes benannt werden.

2. Im Teil der allgemeinen Bestimmungen muß der Grundsatz einer aktiven Frauenförderung verankert werden.


Wie oben erwähnt, begrüßen wir die im Gesetz angewandte, überwiegend nicht diskriminierende Sprache. Wir schlagen jedoch vor, analog der im Gesetz und der Begründung häufig anzutreffenden Begrifflichkeit: „Menschen mit Behinderungen“, diese zu übertragen und sich für die Begrifflichkeit: „Frauen mit Behinderungen“ zu entscheiden.


Abschließend bieten wir an bzw. halten es für geboten, daß KOBRA mit ihrer besonderen Kompetenz als Beratungs- und Koordinierungsstelle für behinderte Frauen in Rheinland-Pfalz am weiteren Anhörungsverfahren beteiligt wird.