18.04.2002 - 10:33:56
Beeinflusst von der zum Teil schon über 25 Jahren
praktizierten Gleichstellungsgesetzgebung für Behinderte in den USA und in
anderen Ländern der Welt haben die deutschen Behindertenverbände für die
Verabschiedung eines Bundesgleichstellungsgesetzes für Behinderte seit über zehn
Jahren gekämpft. Nachdem der Bundestag am 28. Februar 2002 und der Bundesrat am
22. März 2002 das «Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur
Änderung anderer Gesetze», wie das sogenannte Bundesgleichstellungsgesetz für
Behinderte in der Gesetzessprache richtig heißt, mit großer Mehrheit
verabschiedet haben, gelten ab dem 1. Mai 2002 in Deutschland neue Standards in
Sachen Barrierefreiheit und Gleichbehandlung von behinderten Menschen. Mit
diesem neuen Gesetz wurde zum ersten Mal das Ziel der Beseitigung von
Benachteiligungen von behinderten Menschen und die Gewährleistung der
gleichberechtigten Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der
Gesellschaft auf Bundesebene festgeschrieben. Was dieses Gesetz bringt und wie
es einzuschätzen ist, beschreiben der sehbehinderte Publizist Ottmar Miles-Paul
vom NETZWERK ARTIKEL 3 und der mehrfach behinderte Jurist Alexander Drewes vom
Forum behinderter JuristInnen in folgendem Beitrag.
Der Weg zum
Gesetz
Alles in allem war es kein einfacher Weg zur Verabschiedung
des neuen Bundesgleichstellungsgesetzes, doch die breite Zustimmung im Bundestag
und Bundesrat für das Gesetz ist wohl der beste Lohn für die umfassende
Überzeugungsarbeit, die die Behindertenverbände in den letzten zehn Jahren für
die Gleichstellung Behinderter geleistet haben. Dabei wurde Anfang der 90er
Jahre der Grundstein durch die Gründung eines verbandsübergreifenden
«Initiativkreis Gleichstellung Behinderter» gelegt, der 1991 sowohl das Ziel der
Aufnahme eines Benachteiligungsverbotes für Behinderte im Grundgesetz als auch
die Verabschiedung eines Bundesgleichstellungsgesetzes für Behinderte im
Düsseldorfer Appell formulierte. Mittels einer Vielzahl von Demonstrationen und
anderer Lobbyaktivitäten konnte ein breites Bündnis von Behindertenverbänden
1994 im Zuge der Reform des Grundgesetzes durch die Vereinigung Deutschlands die
Aufnahme eines Benachteiligungsverbotes für Behinderte erreichen. Der in Artikel
3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes verankerte Satz «Niemand darf wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden» reformierte die bundesdeutsche Gesellschaft
zwar nicht über Nacht, bildete aber einen Rahmen für das weitere Engagement und
die Argumentation für die Gleichstellung Behinderter. Die Aktivitäten
kristallisierten sich fortan hauptsächlich in der Nachfolgeorganisation des
Initiativkreises Gleichstellung Behinderter, dem verbandsübergreifend
arbeitenden NETZWERK ARTIKEL 3, und ab 1997 entscheidend durch die Kampagne
«Aktion Grundgesetz», die von über 100 Behinderten- und Sozialverbänden getragen
und von der Aktion Mensch koordiniert und gefördert wird. Mit dem
Benachteiligungsverbot und der neuen Kampagne im Rücken kam die rot-grüne
Bundesregierung nicht umhin die Forderung nach der Verabschiedung eines
Bundesgleichstellungsgesetzes für Behinderte als Ziel in die
Koalitionsvereinbarung aufzunehmen.
Da sich die Regierung lange mit der
Umsetzung dieses Versprechens Zeit ließ, war es am Forum behinderter
JuristInnen, selbst einen konkreten und qualifizierten Gesetzesvorschlag für ein
Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte zu entwickeln und damit offensiv in
die Diskussion zu gehen. Ein vom Beauftragten für die Belange Behinderter
initiierter Kongress im Oktober 2000, eine erneute Kampagne unter dem Motto «Wir
zählen mit», während der von den Behindertenverbänden die Tage herunter gezählt
wurden, die der Regierung noch zur Verabschiedung des versprochenen Gesetzes
verblieben, sowie eine Vielzahl von Aktivitäten und von vielen Aktiven in den
Verbänden und vor Ort sorgten letztendlich dafür, dass eine Arbeitsgruppe im
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Entwicklung des Gesetzes
eingerichtet wurde. Die neue Qualität an diesem Prozess, die den
Paradigmawechsel in der deutschen Behindertenpolitik wohl am besten deutlich
macht, war die Tatsache, dass mit Dr. Andreas Jürgens und Horst Frehe zwei
betroffene und langjährig in der Behindertenbewegung engagierte Juristen in
diese Arbeitsgruppe berufen wurden. Zudem wurde der Entwurf des Forums
behinderter JuristInnen zur Grundlage der Gesetzesentwicklung gemacht. Im
Eiltempo wurde dann die Entwicklung und interministerielle Abstimmung des
Gesetzes vorangetrieben, so dass es gelang, das Gesetz am 28. Februar 2002 im
Deutschen Bundestag neben den Stimmen der rot-grünen Bundestagsmehrheit auch mit
den Stimmen der CDU und FDP zu verabschieden.
All diejenigen, die die
Sektkorken auf das Gesetz zu früh knallen ließen durften jedoch noch kräftig
zittern, denn nun galt es noch die Bundesländer zur Zustimmung im Bundesrat zu
bewegen, die zum Teil noch erhebliche Widerstände gegen das Gesetz zeigten. Der
intensive Lobbying-Prozess, der entscheidend auch vom Deutschen Behindertenrat
betrieben wurde, führte nicht nur zum Erfolg, der fast im Eklat um das
Zuwanderungsgesetz in der Bundesratssitzung vom 22. März 2002 untergegangen
wäre, sondern vor allem auch dazu, dass im Zuge dieser Bemühungen eine Reihe von
Bundesländern wie Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erklärten,
dass sie noch in der jeweiligen Legislaturperiode des jeweiligen Landes
Landesgleichstellungsgesetze verabschieden wollen. Auch wenn mit dem neuen
Bundesgleichstellungsgesetz nicht alle Träume der Behindertenverbände
verwirklicht werden konnten, ist seit dessen Verabschiedung klar, dass sich nun
endlich auch Deutschland eindeutig auf dem Kurs zur Festschreibung und
Sicherstellung der rechtlichen Gleichstellung behinderter Menschen befindet.
Was bringt das neue Gesetz konkret?
Ziel des Gesetzes: Das
in 56 Artikeln gegliederte Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte verfolgt,
wie in Artikel 1 §1 formuliert, das Ziel «die Benachteiligung von behinderten
Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe
von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen
eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen». Damit wurden erstmals die
wesentlichen Bestandteile des von den Behindertenverbänden proklamierten
Paradigmawechsels in die Zielbestimmung eines deutschen Bundesgesetzes
aufgenommen.
Neuer Standard für Barrierefreiheit: Die Definition des
Begriffes der Barrierefreiheit, der das Gesetz in vielen Bereichen und wohl auch
die weitere Diskussion in den Bundesländern entscheidend prägt, stellt ebenfalls
eine erfreuliche Weiterentwicklung der Behindertenpolitik dar. «Barrierefrei
sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische
Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und
visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere
gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein
üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe
zugänglich und nutzbar sind». Mit dieser sehr umfassenden und eindeutigen
Definition wird endlich dem Totschlagargument des «Ein Aufzug ist doch nicht
nötig, wir tragen sie doch gerne die Treppen hoch» ein für alle Mal ein Ende
bereitet. Die gestalteten Lebensbereiche vor allem von neu gebauten
Einrichtungen und Anlagen des Bundes werden zukünftig daran gemessen, ob sie
auch von behinderten so wie von nichtbehinderten Menschen ohne fremde Hilfen
gleichberechtigt genutzt werden können.
Gebärdensprache endlich
anerkannt: Der in Artikel 1 § 6 Abs. 1 formulierte Satz «Die Deutsche
Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt» beschreibt die
einschneidende Wende hinsichtlich der Betrachtung und des Umgangs mit den
Kommunikationsformen von schwerhörigen und gehörlosen Menschen, die mit dem
Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte vollzogen wird. Während die
Gebärdensprache zum Teil sogar noch in Sonderschulen massiv unterdrückt wird,
ist nun endlich gesetzlich festgeschrieben, dass die Deutsche Gebärdensprache
als eigenständige Sprache und lautsprachbegleitende Gebärden als
Kommunikationsform der deutschen Sprache anerkannt werden. Zudem wird
denjenigen, die sich nicht mittels der Gebärdensprache oder
lautsprachbegleitender Gebärden verständigen können, das Recht zugesprochen,
andere geeignete Kommunikationshilfen zu verwenden. Aus dieser Anerkennung
resultiert für hör- und sprachbehinderte Menschen nunmehr u.a. konkret das in
Artikel 1 § 9 aufgenommene Recht mit Dienststellen und Einrichtungen des Bundes
entsprechend der individuellen Bedürfnisse zu kommunizieren, soweit dies zur
Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren notwendig ist. Die Kosten und
Rahmenbedingungen müssen dabei die Träger der öffentlichen Gewalt auf Wunsch
sicher stellen, wobei der genaue Rahmen hierfür noch in einer gesonderten
Rechtsverordnung geregelt wird.
Verpflichtung zur Gleichstellung und
Barrierefreiheit: Der 2. Abschnitt des Artikel 1 bildet den Kern des Gesetzes
und regelt die Verpflichtung des Bundes zur Gleichstellung und Barrierefreiheit.
Demnach dürfen die Dienststellen und sonstigen Einrichtungen des Bundes und der
bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen
Rechts zukünftig behinderte Menschen nicht benachteiligen. «Eine Benachteiligung
liegt vor, wenn behinderte und nicht behinderte Menschen ohne zwingenden Grund
unterschiedlich behandelt werden und dadurch behinderte Menschen an der
gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft mittelbar oder
unmittelbar beeinträchtigt werden», sieht Artikel 1 § 7 Abs. 2 des Gesetzes vor.
Das heißt u.a., dass zukünftig zivile Neu- sowie größere Um- oder
Erweiterungsbauten des Bundes barrierefrei gestaltet werden müssen. Sonstige
bauliche oder andere Anlagen wie öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie
öffentliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen
Personenverkehr sind ebenfalls barrierefrei zu gestalten. Auch hinsichtlich der
Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken haben die Bundeseinrichtungen zukünftig
darauf zu achten, dass diese den Bedürfnissen behinderter Menschen gerecht
werden. D.h. zum Beispiel, dass Bescheide blinden Menschen auf Wunsch in
Brailleschrift, auf Diskette oder in einer anderen für sie wahrnehmbaren Form
zur Verfügung gestellt werden müssen. Internetauftritte von Einrichtungen des
Bundes und von ihm zur Verfügung gestellte grafische Programmoberflächen müssen
fortan ebenfalls schrittweise so gestaltet werden, dass sie «von behinderten
Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können». Auch wenn die
Details hierfür noch in einer zu erarbeitenden Rechtsverordnung geregelt werden,
sind die Einrichtungen des Bundes nunmehr mit einer für sie völlig neuen
Herausforderung konfrontiert, nämlich dass sie dafür Sorge tragen müssen, dass
alle BürgerInnen die Angebote des Bundes gleichberechtigt nutzen können. Vor
allem setzt der Bund damit ein Zeichen, so dass es zukünftig hoffentlich
allgemeiner Standard wird, dass Internetangebote von allen gleichberechtigt
nutzbar sind und hier nicht neue Barrieren aufgebaut werden. Auch wenn die
Bundeseinrichtungen für die Betroffenen vor Ort im Alltag nur eine
untergeordnete Rolle spielen, wurde damit ein Standard gesetzt, an dem die
Landes- und kommunalen Behörden früher oder später nicht mehr vorbei kommen
werden.
Barrierefreie Wahllokale: Das Gesetz hat auch die Umsetzung
einer alten Forderung der Behindertenbewegung nach der gleichberechtigten
Wahrnehmung demokratischer Rechte aufgenommen, in dem mittels einer Änderung des
Bundeswahlgesetzes und der Europawahlordnung festgeschrieben wird, dass die
Wahlräume so ausgewählt und eingerichtet werden sollen, dass die Teilnahme
behinderter Menschen an der Wahl erleichtert wird. Zudem soll blinden und
sehbehinderten Menschen durch die Bereitstellung und das Recht zur Nutzung von
Stimmzettelschablonen eine eigenständige Wahrnehmung des Wahlrechtes ermöglicht
werden. Die ursprüngliche Fassung des Gesetzesentwurfs, die konkrete Fristen für
die Zugänglichkeit aller Wahllokale vorsah, fiel leider dem Ringen um einen
Kompromiss mit den Ländern zum Opfer. Nichts desto Trotz werden hier trotz der
Soll-Bestimmungen die Zeichen eindeutig in Richtung gleichberechtigte
Möglichkeiten bei der Ausübung des Wahlrechtes gestellt, der hoffentlich auch
bald für Landtags- und Kommunalwahlen greift.
Reform der Berufsordnungen:
Dem Missstand, dass eine Reihe von Berufsordnungen bisher immer noch eine
Behinderung als möglichen Grund für eine Nichtgewährung der Zulassung vorsehen,
wurde durch eine Vielzahl von Änderungen von Berufsgesetzen und –verordnungen
begegnet, die die meisten Artikel des Gesetzes ausmachen. Durch diese
Klarstellung werden endlich auch Regelungen reformiert, die zum Teil noch aus
der Zeit des Nationalsozialismus stammen und Fehler der neueren Gesetzgebung in
diesem Bereich korrigiert.
Verbesserungen an den Hochschulen: Für
unbedarfte LeserInnen dieses Gesetzes verbirgt sich ziemlich unscheinbar
inmitten der Änderung der Berufsordnungen unter Artikel 28 eine nicht
unwesentliche Änderung des Hochschulrahmengesetzes. Dort wird für die
Hochschulen nun festgeschrieben: «Sie tragen dafür Sorge, dass behinderte
Studierende in ihrem Studium nicht benachteiligt werden und die Angebote der
Hochschule möglichst ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen können». Wenn es
gelingt, diese Änderung an den Hochschulen mit dem entsprechenden Druck in die
Praxis umzusetzen, können dadurch behinderten Studierenden eine Vielzahl neuer
Türen und Ausbildungschancen geöffnet werden. Die Erfahrungen aus den USA
zeigen, dass der gleichberechtigte Zugang zu den Hochschulen ein entscheidender
Schlüssel für eine Stärkung der Behindertenbewegung war. Die explizite Aufnahme,
dass zukünftig Prüfungsordnungen die besonderen Belange behinderter Studierender
zur Wahrung ihrer Chancengleichheit berücksichtigen müssen, stärkt zudem
einerseits die Entwicklung, die bereits an einigen Universitäten auf Druck der
Interessenvertretungen behinderter Studierender vollzogen wurden und schafft nun
einen konkreten Rechtsanspruch auf derartige behinderungsspezifische
Nachteilsausgleiche.
Barrierefreie Gaststätten: Ein Punkt, um den bei der
Einigung mit den Ländern hart gekämpft werden musste, sind die Regelungen, die
das neue Gesetz für die Genehmigung von Gaststätten trifft. Da die Regelungen im
Bereich des Bauens weitgehend Ländersache sind, hat der Bund relativ geringe
Möglichkeiten zur Schaffung von Regelungen in diesem Bereich. Im Hinblick auf
die barrierefreie Gestaltung von Gaststätten haben die MacherInnen des Gesetzes
jedoch einen Ansatz in der Erteilung der Genehmigung gefunden, auf die der Bund
Einfluss hat. Demnach müssen die «zum Betrieb des Gewerbes für Gäste bestimmten
Räume» von behinderten Menschen barrierefrei genutzt werden können. Andererseits
kann die Genehmigung für die erstmalige Errichtung, einen wesentlichen Umbau
oder eine wesentliche Erweiterung einer Gaststätte verweigert werden. Hierbei
musste den Ländern jedoch zugestanden werden, dass diese die Umsetzung und
Details durch eigene Rechtsverordnungen entsprechend regeln können. Auch wenn in
diesem Bereich die konkrete Entwicklung kritisch verfolgt werden muss, kann auch
diese Regelung als wichtiger Durchbruch für mehr barrierefreie Gaststätten
gewertet werden. Übrigens wird das Bundesgleichstellungsgesetz von den
Wirtschaftsverbänden sehr positiv eingeschätzt, weil auch dort erkannt wurde,
dass eine barrierefreie Gestaltung dazu dient, einen größeren Kundenkreis zu
erschließen.
Barrierefreierer Verkehr: Fast schon als hätte man es vor
zu aufmerksamen Ministerialbeamten und OppositionspolitikerInnen verstecken
wollen sind am Ende des Gesetzes noch eine Reihe von Punkten aufgeführt, die für
eine barrierefreie Gestaltung des Verkehrs von entscheidender Bedeutung sind.
Artikel 49 regelt zum Beispiel mittels einer Änderung des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, über das u.a. die Verkehrsunternehmen
viele ihrer öffentlichen Zuschüsse erhalten, dass die Belange behinderter
Menschen und solcher mit anderen Mobilitätsbeeinträchtigungen berücksichtigt und
den Anforderungen der Barrierefreiheit möglichst weitreichend entsprochen werden
muss. Dabei sollen bei den Planungen von Vorhaben die Behindertenbeauftragten
oder –beiräte entsprechend beteiligt werden. Zudem erstreckt sich nun die
Berichterstattung der Länder auch auf den Nachweis, inwieweit die geförderten
Maßnahmen dem Ziel der Barrierefreiheit entsprechen. Auch wenn es in der heißen
Phase des Gesetzgebungsverfahrens vor allem wegen des Widerstandes der Länder
und des Bundesverkehrsministeriums nicht gelungen ist, konkrete Fristen für die
absolut barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Personenverkehrs aufzunehmen,
wird nun die barrierefreie Gestaltung zu einem zentralen Förderprinzip erhoben
und kann damit die Knute der Mittelgewährung eingesetzt werden, um einen
behindertengerechten Nahverkehr durchzusetzen. Dies wird in Artikel 51 durch die
Änderung des Personenbeförderungsgesetzes dahingehend untermauert, dass
zukünftig die Nahverkehrspläne die Belange behinderter Menschen für eine
möglichst weitgehende barrierefreie Nutzung berücksichtigen müssen. Dabei sind
die Behindertenbeauftragten oder –beiräte bei der Aufstellung von
Nahverkehrsplänen anzuhören. Auch in der Straßenbahn-Bau- und -Betriebsordnung
wird nun festgeschrieben, dass die Benutzung von Straßenbahnen zukünftig ohne
besondere Erschwernisse ermöglicht werden muss.
Was den heiklen Punkt des
Eisenbahnverkehrs angeht, der hauptsächlich von der Deutschen Bahn erbracht
wird, hat der Bund in diesem Bereich ebenfalls nur eingeschränkte
Regelungsmöglichkeiten. Im Bundesgleichstellungsgesetz wurde daher der Hebel in
der Änderung der Eisenbahn-Bau- und -Betriebsordnung angesetzt. Dabei wird u.a.
festgeschrieben, dass die Nutzung der Fahrzeuge ohne besondere Erschwernis
ermöglicht werden muss. Die Eisenbahnen werden zu diesem Zweck dazu
verpflichtet, «Programme zur Gestaltung von Bahnanlagen und Fahrzeugen zu
erstellen, die dem Ziel eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit für deren
Nutzung zu erreichen» gerecht werden. Diese Programme sollen in Abstimmung mit
den Spitzenorganisationen der Verbände aufgestellt werden. In Sachen Verkehr
wurden also eine ganze Reihe von Regelungen getroffen, die eine gute Grundlage
dafür bieten, dass zukünftig neue Fahrzeuge und Anlagen barrierefrei gestaltet
werden.
Barrierefrei in die Luft gehen: Auch hinsichtlich einer
barrierefreieren Gestaltung des Flugverkehrs konnten mit diesem neuen Gesetz
eine Reihe neuer Regelungen verankert werden, die geeignet sind, so manchen
Missstand in diesem Bereich zu beseitigen. In Artikel 53 wird durch eine
Änderung des Luftverkehrsgesetzes festgeschrieben, dass die Unternehmer von
Flughäfen für eine gefahrlose und leicht zugängliche Benutzung von allgemein
zugänglichen Flughafenanlagen, Räumen und Einrichtungen durch Fluggäste zu
sorgen haben. Dabei sind die Belange von behinderten Menschen mit dem Ziel
Barrierefreiheit herzustellen zu berücksichtigen. Aber auch für einen besseren
Zugang zu den Flugzeugen selbst wurde die Regelung aufgenommen, dass
Luftfahrtunternehmen, die Luftfahrzeuge mit mehr als 5,7 t Höchstgewicht
betreiben, für eine gefahrlose und eine leicht zugängliche Benutzung der
Luftfahrzeuge mit dem Ziel der Barrierefreiheit Sorge zu tragen haben. Die
deutsche Gesetzgebung schließt sich damit dem internationalen Trend an, wonach
die barrierefreie Gestaltung von Flughäfen und Flugzeugen eine zunehmende Rolle
spielt und zum Standard wird.
Verbandsklagerecht als Schlüssel zur
Durchsetzung: Obwohl die Aufnahme eines Verbandsklagerechtes einerseits eine
zentrale Forderung der Behindertenverbände darstellt, um das Gesetz nicht zu
einem zahnlosen Tiger werden zu lassen und dies andererseits bei den Ländern auf
zum Teil heftigen Widerstand stieß, ist im Hinblick auf diese Gegensätze ein
guter Kompromiss heraus gekommen. Nach dieser Regelung kann das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung nunmehr unter Beachtung klar
definierter Voraussetzungen Verbänden, die vom Beirat für die Teilhabe
behinderter Menschen vorgeschlagen werden, das Recht erteilen, Verbandsklagen
zur Durchsetzung der Rechte aus dem Bundesgleichstellungsgesetz zu führen. Diese
Verbände können, ohne in ihren Rechten verletzt zu sein, Klagen nach Maßgabe der
Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes erheben, um Verstöße
gegen das Bundesgleichstellungsgesetz feststellen zu lassen und dessen Umsetzung
einzufordern. Dabei ist die Klage aber nur zulässig, wenn der Verband durch eine
Maßnahme in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt wird. Wenn ein
behinderter Mensch seine Rechte jedoch selbst verfolgen kann, kann die
Verbandsklage nur eingereicht werden, wenn es sich bei dem vorliegenden Fall um
einen Fall von allgemeiner Bedeutung handelt, wenn es also zum Beispiel eine
ganze Reihe ähnlich gelagerter Fälle gibt. Damit wurden den Behindertenverbänden
nunmehr also einige Türen geöffnet, um zum Beispiel eine barrierefreie
Gestaltung von Einrichtungen und Angeboten des Bundes einzuklagen. Zudem können
von einer Maßnahme betroffene behinderte Menschen natürlich selbst eine Klage
zum Beispiel zur Herstellung der Barrierefreiheit einreichen, wenn sie davon
betroffen sind, bzw. mit ihrem Einverständnis und an ihrer Stelle die
anerkannten Verbände Rechtsschutz beantragen. So bieten sich nunmehr eine Reihe
von Möglichkeiten gegen Benachteiligungen von Seiten von Einrichtungen des
Bundes auch gerichtlich vorzugehen.
Zielvereinbarungen: Mit den
Zielvereinbarungen wurde im Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte ein
völlig neues Instrument geschaffen, mit dem der Bund einen Rahmen für Regelungen
vor allem in den Bereichen schafft, in denen er von Rechts wegen keine
Gesetzesvorschriften verabschieden konnte, die also in der Zuständigkeit der
Länder oder Kommunen liegen. Mittels der in Artikel 1 § 5 des Gesetzes
geregelten Zielvereinbarungen können nunmehr die vom Beirat für die Teilhabe
behinderter Menschen anerkannten Verbände Zielvereinbarungen mit Unternehmen und
Unternehmensverbänden zur Schaffung von Barrierefreiheit abschließen. Dabei
können die Verbände zwar die Aufnahme von Zielvereinbarungen verlangen, es
besteht aber keine Pflicht zum Abschluss solcher Vereinbarungen. Im Gegensatz
zur bisherigen Situation, in der sich die Verbände bisher lediglich als
Bittsteller befinden und nur wenige Werkzeuge zur Durchsetzung ihrer Interessen
in Händen halten, kommt nun dieses im Bundesgleichstellungsgesetz verankerte
Instrument dazu, das hoffentlich eine neue Kompromissbereitschaft zur
Verbesserung der Situation behinderter Menschen in unserer Gesellschaft schafft.
So muss bereits die Ankündigung eines Verbandes Zielvereinbarungen mit einem
Unternehmen aufzunehmen in einem hierfür extra einzurichtenden
Zielvereinbarungsregister beim Bundesarbeitsministerium veröffentlicht werden,
wo dann auch die getroffenen Vereinbarungen dokumentiert werden. Wenn es zum
Abschluss einer Zielvereinbarung kommt, müssen darin u.a. Mindestbedingungen für
die barrierefreie Zugänglichkeit und Nutzung eines Angebotes oder
Lebensbereiches und ein konkreter Zeitplan für deren Umsetzung festgeschrieben
werden. Da nach dem Abschluss von Zielvereinbarungen für einen bestimmten
Bereich für deren Geltungsdauer keine weiteren Verhandlungen vom gleichen
Unternehmen verlangt werden können, ist die Fähigkeit der Zusammenarbeit der
einzelnen Behindertengruppen und –verbände ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.
So interessant dieses Instrument klingt, so unsicher sind auch fast alle
Beteiligten zur Zeit noch über den konkreten Effekt, den dieses haben wird. Kein
Unternehmen wird zum Abschluss einer solchen Zielvereinbarung gezwungen, doch
wurde gerade von Seiten der Wirtschaftsverbände bisher eine große Bereitschaft
zur Umsetzung des Gesetzes und zum Abschluss von Zielvereinbarungen
signalisiert. Zudem dürfte es zukünftig sicherlich schwerer werden, öffentlich
zu begründen, weshalb keine Zielvereinbarungen zustande gekommen sind, als die
Anliegen behinderter Menschen still und heimlich vom Tisch zu wischen, wie dies
heute oft der Fall ist. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber aber eindeutig
den Behindertenverbänden den Ball zugespielt, denn nun sind diese an der Reihe
dieses Instrument mit Leben und der entsprechenden Verhandlungsqualität und
Kompromissfähigkeit zu füllen.