Das NETZWERK ARTIKEL 3, der bundesweite Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter (e.V.) begrüßt die im Koalitionsvertrag fixierte Zusage der Bundesregierung, in dieser Legislaturperiode ein Antidiskriminierungsgesetz zu erarbeiten und dem Parlament vorzulegen.
Mittlerweile ist dies insofern konkretisiert worden, als noch in diesem Jahr Eckpunkte erarbeitet werden sollen. Diese Aussagen haben für uns Signalcharakter, weil sowohl die alltäglichen Diskriminierungserfahrungen Behinderter, als auch die in diesem Punkte bisher insgesamt unbefriedigende Rechtsprechung verdeutlichen, wie sehr der Verfassungsauftrag des Art. 3, Abs. 3, Satz 2 Grundgesetz einer Konkretisierung durch ein entsprechendes Bundesgesetz (aber selbstverständlich auch - im Rahmen ihrer Zuständigkeit - durch Gesetze der Länder) bedarf.
Aufgrund der Erfahrungen aus den letzten Wahlperioden hinsichtlich der Konzeption eines SGB IX sowie der Erfahrungen, die Berliner Behindertenverbände bei der parlamentarischen (Vor-)Beratung eines Landesgleichstellungsgesetzes, das gegen ihren Willen durchgesetzt wurde, ist für uns das Procedere dieser Gesetzesinitiative von entscheidender Bedeutung.
Im Mittelpunkt steht für uns daher die frühzeitige Beteiligung behinderter Fachleute. Schon in der Erarbeitung der Eckpunkte, in einer Phase also, in der die Weichen für Inhalte und Regelungsmechanismen gestellt werden, sollten die Voten Betroffener gehört werden. Da es hierbei um juristische Problemstellungen geht, haben wir der Bundesregierung vorgeschlagen, das (verbandsübergreifende) Forum behinderter Juristinnen und Juristen schon zu einem frühen Zeitpunkt in die Beratungen mit einzubeziehen.
Das NETZWERK ARTIKEL 3 votiert inhaltlich für ein Bundesantidiskriminierungsgesetz, das in einem ersten Teil allgemeine Definitionen von Diskriminierung und Behinderung enthält, ebenso wie ein klares Diskriminierungsverbot, das vor Gericht auch einklagbar ist. Zur Verbesserung der Durchsetzungsmöglichkeiten Behinderter schlagen wir weiterhin ein Verbandsklagerecht vor, da hiermit der häufig anzutreffenden Situation, dass ein Betroffener einem großen, finanziell und strukturell übermächtigen, Klagegegner gegenübersteht, zum Beispiel die Deutsche Bahn AG, Rechnung getragen wird.
Da die Deutsche Gebärdensprache bisher in Deutschland noch nicht rechtlich als eigenständige Sprache anerkannt ist, muss auch diese Gegenstand eines ersten Teiles sein. Auch Regelungen hinsichtlich der Interessenvertretung sollten dort enthalten sein, etwa die Position und Kompetenzen eines Gleichstellungsbeauftragten und die Einrichtung eines nationalen ´Enthinderungs´rates mit entsprechenden Kompetenzen. Zudem halten wir Bestimmungen für eine Förderungspolitik zugunsten behinderter Frauen für erforderlich.
Ein zweiter Teil muss dann die jeweils zu ändernden oder zu ergänzenden Bundesgesetze enthalten, hierzu liegen sowohl vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen, als auch vom Bundesverband Reichsbund e.V. bereits Vorschläge vor, auch an den Gesetzentwürfen von Behindertenverbänden für die Bundesländer Hessen, Brandenburg, Berlin und Bremen sollte man sich orientieren.
Inhaltlich müssen diese Änderungen und Ergänzungen z.B. den Bereich des Zivilrechts, das Prozess- und Beurkundungsrecht (Gleichstellung Blinder und Gehörloser), das öffentliche Baurecht (Bauplanungsrecht), das Verkehrsrecht (hinsichtlich der Zugänglichkeit zumindest neu anzuschaffender Fahrzeuge bzw. der Lizenzerteilung an Unternehmen nur unter bestimmten Voraussetzungen), das Recht der Gaststätten (Konzessionserteilung nur unter bestimmten Voraussetzungen und der Telekommunikation (Nutzbarkeit auch für Seh- und Hörgeschädigte) umfassen. Von großer Bedeutung ist auch, dass in Anbetracht der zunehmenden Privatisierung hier z.B. mit der gesetzlichen Regelung bestimmter Mindeststandards die Gleichstellung Behinderter durchgesetzt wird.
Neben der Konzeption eines Bundesantidiskriminierungsgesetzes ist jedoch ebenso die effektive Förderung der Beschäftigung Behinderter auf dem ersten Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung, da die Arbeitslosigkeit dieser Gruppe noch immer überproportional hoch ist.
Wir unterstützen hier Programme, die nicht einer Aussonderung Behinderter in bestimmte Bereiche dienen und die ihnen eine tarifadäquate Bezahlung ermöglichen. Gerade die Möglichkeit der selbstbestimmten Arbeitsassistenz muss durch entsprechende Bestimmungen ausgebaut und viel stärker als bisher finanziell unterstützt werden. Bei der Besetzung von Stellen und Gremien halten wir eine paritätische Berücksichtigung behinderter Frauen für sinnvoll.
Auch die bisherigen Änderungen des Pflegeversicherungsgesetzes reichen für ein selbstbestimmtes Leben Behinderter bei weitem nicht aus. Das NETZWERK ARTIKEL 3 begrüßt daher auch die Initiative der Bundesregierung, die Erarbeitung eines SGB IX zu forcieren. Hier muss die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben mit persönlicher Assistenz gelegt werden: Durch Definition dieses Begriffes (Kompetenz der Assistenznehmer hinsichtlich der Auswahl der Person des Assistenten, der Art, wie und des Ortes, an dem die Assistenzleistung erbracht wird) und die Gewährung einer Rechtsposition für Betroffene, unter näher zu bestimmenden Umständen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen zu haben (dies schließt die Kompetenz der Assistenznehmer, ihren Assistenten den Lohn auszuzahlen, ein).
Da Assistenz ein umfassender Begriff ist, bietet sich auf diesem Wege auch eine Reformierung der bisher bestehenden Vielzahl von Kostenträgern für verschiedene Leistungen an. Ein selbstbestimmtes Leben Behinderter muss unabhängig vom Einkommen gewährleistet werden, ein Fortbestehen im Rahmen der Sozialhilfe lehnen wir daher ab. Außerdem müssen die Leistungen unabhängig von einer Erwerbstätigkeit der Betroffenen erfolgen.
Die sowohl hinsichtlich der rechtlichen Stellung als auch der völlig unzureichenden ´Entlohnung´ bestehende Situation Behinderter in den Werkstätten muss grundlegend verbessert werden, wir präferieren hier eine Auflösung der traditionellen Werkstatt für Behinderte und die nichtaussondernde Teilhabe auf dem ersten Arbeitsmarkt (unterstützt durch entsprechende finanzielle und strukturelle Mechanismen, die in einem SGB IX geregelt werden könnten).
Das NETZWERK ARTIKEL 3 sieht in der nun beginnenden Diskussion und mehr noch in den konkreten Arbeiten an den Gesetzentwürfen die Chance für einen grundlegenden Perspektivenwechsel Behinderten gegenüber und damit für die Beendigung der immer noch alltäglichen Diskriminierungen. Mit diesen Änderungen wäre der Weg in das 21. Jahrhundert auch für 15 Prozent der deutschen Bevölkerung geebnet.
NETZWERK ARTIKEL 3 - Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.
Dr. Bettina Theben