NETZWERK ARTIKEL 3
Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.

informiert über

Initiativen für barrierefreie Informationen

Vortrag von Thomas Hänsgen - Technischer Jugendfreizeit- und Bildungsverein e.V. auf der Tagung «Gleich richtig stellen» Gleichstellung für Behinderte von der Kommune bis zur UN am 26./ 27. Juli 2003 in Bremen

Gleichstellung in Information und Kommunikation beginnt mit Barrierefreiheit

Mit meinem Vortrag möchte ich die Thesen aus meinem Thesenpapier anhand von praktischen Beispielen belegen und darauf aufbauend auch Forderungen zur Umsetzung von Barrierefreiheit ableiten.

– ob im beruflichen oder privaten Alltag – jede oder jeder hat diese Anwendungen schon einmal mehr oder weniger intensiv genutzt. Die Fähigkeit, Computer und Internet handhaben zu können, ist inzwischen zu einer Kulturtechnik geworden – wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese Erkenntnis hat der Technische Jugendfreizeit- und Bildungsverein (tjfbv) e. V., dessen Vorsitzender ich bin, aus der täglichen Arbeit seines integrativen Internet- und Multi Media Center (MMC) „Käpt’n Browsers MMC“ zur beruflichen Orientierung und Weiterbildung für Menschen mit und ohne Behinderungen gewinnen können. Das bringt mich zu meiner ersten These:

These:

Computer- und Internetanwendungen gewinnen im täglichen Leben zunehmend an Bedeutung. Die Fähigkeit, diese Anwendungen umfassend nutzen zu können, wird zur „Alltagskompetenz“ und immer wichtiger im Berufsleben.

Aus meiner praktischen Arbeit weiß ich, dass diese These wahr ist. Umso wichtiger ist es, dass Computer- und Internetangebote für Menschen mit und ohne Behinderungen gleichberechtigt und integrativ nutzbar und damit barrierefrei sind. Im Behindertengleichstellungsgesetz ist es in § 4 eindeutig formuliert:

«Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.»

Das Motto des «Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003» ist «Teilhabe verwirklichen, Gleichstellung durchsetzen, Selbstbestimmung ermöglichen». Dies trifft selbstverständlich für alle Lebensbereiche zu – also auch und gerade für den Lebensbereich, mit dem wir uns heute beschäftigen.

Setzt man sich mit Angebots- und Zugangsdimensionen von online- bzw. Computer – Angeboten auseinander, muss es im Ergebnis darum gehen, behinderten und nicht behinderten Menschen gleichberechtigt – also integrativ oder um den neuen Fachterminus zu benutzen – inklusiv – deren Nutzung zu ermöglichen.

Zieht man allerdings in Betracht, dass Behinderungen äußerst vielschichtig sind, z. B.:

scheint es fast unmöglich, ein Patentrezept anbieten zu können. Auch hier kann ich wiederum ein Beispiel aus unserer praktischen Tätigkeit geben, die aber nachfolgende These rechtfertigt:

These:

Möglichst von Beginn an müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit Behinderte – also Blinde, Gehörlose, Taube, Schwerhörige, motorisch Behinderte und Menschen mit Lernschwierigkeiten – gleichberechtigt an dieser Entwicklung teilhaben können.

Im «Käpt’n Browsers MMC» ist mitten in Berlin auf ca. 560 m2 ein Multimedia – Areal mit 27 behindertengerechten Computerarbeitsplätzen entstanden, das uns ein vielfältiges Schulungs- und Kommunikationsangebot für Besucherinnen und Besucher mit verschiedenen Behinderungen und unterschiedlichen Schweregraden unterbreiten lässt. Auch architektonisch ist das MMC barrierefrei eingerichtet. So gibt es z. B.:


All dies war möglich, weil wir die Chance hatten, von Beginn an Barrierefreiheit zu planen und (baulich und materiell – technisch) umzusetzen. Wir als ein eingetragener Verein haben gezeigt, dass umfassende Barrierefreiheit in Information und Kommunikation möglich ist. Deshalb die folgende These:

These:

Bestehende und neue öffentliche Internetterminals müssen barrierefrei zugänglich gebaut und bedienbar gestaltet werden. Um dies kosteneffizient realisieren zu können, bedarf es gezielter Beratungsangebote.

Für Barrierefreiheit des World Wide Web sind für öffentliche Institutionen und Zuwendungsempfänger seit gut einem Jahr rechtliche Rahmenbedingungen vorhanden. Deren Umsetzung ist allerdings mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zusätzliche finanzielle Mittel sind aber sowohl in der Wirtschaft als auch in den öffentlichen Haushalten rar. Dennoch ist die folgende These ebenfalls richtig und wichtig:

These:

Die «Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)» muss konsequent umgesetzt werden. Dazu gehören u. a. die barrierefreie Gestaltung von Websites und die Zugänglichkeit von Informationen und Formularen im Internet (Anträge etc.) für alle.

Barrierefreie Webseiten allein genügen allerdings nicht, um umfassende Teilhabe von behinderten Menschen in den Bereichen Computer und Internet zu gewährleisten. Aus der täglichen Arbeit von „Käpt’n Browsers MMC“ wissen wir auch, wie wichtig spezielle Hard- und Software sind, damit gerade behinderte Menschen – unabhängig von Art und Schwere ihrer jeweiligen Behinderung – eine auf ihre individuellen Be-lange zugeschnittene Unterstützung bei der Anwendung von Computer und Internet erhalten können. Die vor Ihnen liegende Publikation:

«barrierefrei kommunizieren»
- Behinderungskompensierende Techniken und Technologien für Computer und Internet -

möchte einen Beitrag dazu leisten, dass behinderte Menschen alle Chancen, die unser heutiges Informationszeitalter bietet, gleichberechtigt vor allem auch für bessere berufliche Perspektiven nutzen können.

Nachfolgend möchte ich Ihnen - an ausgewählten Beispielen – behinderungskompensierende Techniken und Technologien vorstellen:

1. Kopfmaus:
Die Kopfmaus besteht aus einem kabellosen optischen Sensor für Kopfbewegungen und ist für Menschen gedacht, die ihre Hände zur Bedienung des Computers nicht benutzen können. Die horizontalen und vertikalen Kopfbewegungen werden verfolgt und direkt in Bewegungen des Mauszeigers auf dem Computerbildschirm umgesetzt. Dabei wird ein kleiner Zielpunkt anvisiert, der z. B. auf der Stirn oder der Brille des Benutzers befestigt wird.

2. IntegraMouse:
Seit kurzer Zeit ist eine Computermaus erhältlich, die ausschließlich mit Hilfe von Lippen- bzw. Zungenbewegungen navigiert und ohne zusätzliche Software an jeden Computer angeschlossen werden kann. Durch Blasen und Saugen können die Funktionen der linken und rechten Maustaste gesteuert werden.

Kombiniert mit einer in Microsoftsystemen integrierten virtuellen Bildschirmtastatur ist so eine Computer- und Internetnutzung auch von Menschen möglich, die nicht einmal ihren Kopf bewegen können.

These:

Barrierefreier Zugang zu Computer- und Internetanwendungen setzt die Verfügbarkeit und Nutzung von vorhandener behinderungskompensierender Hard- und Software voraus.

Zwischenzeitlich wurde von immer mehr Herstellern eine Vielzahl von Hilfsmitteln entwickelt, die es Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen ermöglicht, Computer und Internet zu nutzen. Da sich technische und technologische Entwicklungen rasant vollziehen, haben wir unter

 www.barrierefrei-kommunizieren.de 

eine Datenbank veröffentlicht. Sie ist auf der Grundlage der «Barrierefreien Informationstechnik – Verordnung (BITV)» vom 17. Juli 2002 barrierefrei gestaltet. Diese Datenbank ergänzt und erweitert die vorliegende Publikation durch die Aufnahme neuer Produkte.

Darin hat die Nutzerin / der Nutzer u. a. die Möglichkeit, entsprechend ihres / seines persönlichen gesundheitlichen Defizits nach einer kompensierenden Hilfe zu suchen. Kenntnisse über mögliche Hilfsmittel sind nicht erforderlich.

Am besten Sie überzeugen sich selbst und informieren Betroffene, deren Angehörige und professionell in der Arbeit mit behinderten Menschen Tätige darüber, denn

These:

Durch Information, Beratung, Schulungen und Möglichkeiten zum praktischen Ausprobieren müssen bei behinderten Menschen, deren Angehörigen sowie professionell Tätigen im Umgang mit Computer und Internet Chancen aufgezeigt und bestehende Berührungsängste genommen werden.

Abschließend noch einen kleinen Ausblick in die Zukunft:

Computer- und Internetanwendungen werden sich rasant weiterentwickeln. Technische Möglichkeiten werden immer ausgereifter. Behinderungsbedingte Nachteile können zunehmend besser ausgeglichen werden. Die Gegenseite der Medaille darf allerdings – gerade in Zeiten knapper Kassen allerorten – ebenfalls nicht außer Betracht bleiben. Die Kosten für jedes einzelne Hilfsmittel werden nach wie vor hoch sein. Allerdings existiert eine staatliche Verpflichtung, Internet- und Computernutzung allen – also auch und gerade behinderten Menschen – zu ermöglichen. Um von der Notwendigkeit von Barrierefreiheit im Bereich Information und Kommunikation zu überzeugen, bedarf es der

These:

Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Wirtschaft, Krankenkassen und Politik für die Chancen barrierefreier Kommunikation.

Diesen Weg zu gehen, jeder hier im Raum weiß das, wird nicht einfach sein. Aber aus unserer täglichen Arbeit wissen wir, dass es sich lohnt, ihn zu beschreiten.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom «Käpt’n Browsers MMC» und ich stehen Ihnen bei Fragen jederzeit gern zur Verfügung.
Thomas Hänsgen


Ihr E-Mail-Kontakt an das Tagungsbüro   ottmar.miles-paul@bifos.de

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Rolf Barthel   am 26.07.03

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