vom 04. 05. 2005 (GBl. 2005 S. 327)
Der Landtag hat am 20. April 2005 das folgende Gesetz
beschlossen:
Inhalt
Artikel 1
Landesgesetz zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderungen
Erster Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
§1 Gesetzesziel
§2 Behinderung
§3 Barrierefreiheit
§4
Benachteiligung
§5
Frauen mit Behinderungen
Zweiter Abschnitt Verpflichtung zur Gleichstellung und Barrierefreiheit
§6
Benachteiligungsverbot für öffentliche Stellen
§7
Herstellung von Barrierefreiheit in den
Bereichen Bau und Verkehr
§8
Recht auf Verwendung von Gebärdensprache
und anderen Kommunikationshilfen
§9
Gestaltung des Schriftverkehrs
§10
Barrierefreie mediale Angebote
Dritter Abschnitt Rechtsbehelfe
§11
Rechtsschutz durch Verbände
§12
Klagerecht
Vierter Abschnitt Beauftragter der Landesregierung für die Belange
von Menschen mit Behinderungen
§13
Amt des Beauftragten der Landesregierung für die
Belange von Menschen mit Behinderungen
§14
Aufgaben und Befugnisse
Artikel 2 Änderung des Gesetzes über die Planung,
Organisation und Gestaltung des öffentlichen
Personennahverkehrs
Artikel 3 Änderung des Straßengesetzes
Artikel 4 Inkrafttreten
Erster Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von Menschen
mit Behinderungen zu verhindern und zu beseitigen
sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten,
ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung
zu ermöglichen und dabei ihren besonderen Bedürfnissen
Rechnung zu tragen.
Nach oben
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion,
geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von
dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt
ist.
Nach oben
Barrierefrei sind Anlagen, Verkehrsmittel, technische
Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung,
akustische und visuelle Informationsquellen und
Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete
Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen
in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere
Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich
und nutzbar sind. Die Begriffsbestimmungen
der Landesbauordnung für Baden-Württemberg bleiben
unberührt.
Nach oben
Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Menschen mit und
ohne Behinderungen ohne zwingenden Grund unterschiedlich
behandelt werden und dadurch Menschen mit
Behinderungen in der gleichberechtigten Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt
werden.
Nach oben
Zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen
und Männern sind die besonderen Belange von Frauen
mit Behinderungen zu berücksichtigen und bestehende
Benachteiligungen zu beseitigen. Dabei sind besondere
Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen mit Behinderungen
sowie zum Abbau und zur Beseitigung bestehender
Benachteiligungen zulässig.
Nach oben
Zweiter Abschnitt
Verpflichtung zur Gleichstellung und Barrierefreiheit
(1) Die Dienststellen und sonstigen Einrichtungen der
Landesverwaltung einschließlich der landesunmittelbaren
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen
Rechts sollen im Rahmen ihres jeweiligen Aufgabenbereichs
die in § 1 genannten Ziele aktiv fördern
und bei der Planung von Maßnahmen beachten; dies gilt
auch für Gerichte und Staatsanwaltschaften, sofern sie in
Verwaltungsangelegenheiten tätig werden. Die Verpflichtungen
nach Satz 1 gelten auch für Gemeinden, Gemeindeverbände
und die sonstigen der Aufsicht des Landes
unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen
Rechts. In Bereichen bestehender Benachteiligungen von
Menschen mit Behinderungen gegenüber nicht behinderten
Menschen sind besondere Maßnahmen zum Abbau
und zur Beseitigung dieser Benachteiligungen zulässig.
Bei der Anwendung von Gesetzen zur tatsächlichen
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und
Männern ist den besonderen Belangen von Frauen mit
Behinderungen Rechnung zu tragen.
(2) Öffentliche Stellen im Sinne des Absatzes 1 dürfen
Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligen.
(3) Besondere Benachteiligungsverbote zu Gunsten von
Menschen mit Behinderungen in anderen Rechtsvorschriften
bleiben unberührt.
Nach oben
(1) Bauliche und andere Anlagen sind nach Maßgabe der
einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere der Landesbauordnung
für Baden-Württemberg, barrierefrei herzustellen.
(2) Neu zu errichtende öffentliche Straßen sowie öffentlich
zugängliche Verkehrsanlagen und neu zu beschaffende
Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr
sind nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften
des Landes barrierefrei zu gestalten. Bei großen
Umbau- oder Erweiterungsmaßnahmen sollen diese nach
Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Landes
barrierefrei gestaltet werden.
Nach oben
(1) Die Deutsche Gebärdensprache ist als eigenständige
Sprache anerkannt.
(2) Lautsprachbegleitende Gebärden sind als Kommunikationsform
der deutschen Sprache anerkannt.
(3) Menschen mit Hörbehinderungen (Gehörlose, Ertaubte
und Schwerhörige) und Menschen mit Sprachbehinderungen
haben das Recht, mit öffentlichen Stellen im Sinne
des § 6 Abs. 1 Satz 1 in Deutscher Gebärdensprache, mit
lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete
Kommunikationshilfen zu kommunizieren, soweit
dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren
erforderlich ist. Die öffentlichen Stellen haben
die dafür erforderlichen Aufwendungen zu erstatten.
(4) Die Erstattung der erforderlichen Aufwendungen für
die Dolmetscherdienste erfolgt in entsprechender Anwendung
des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes
in der jeweils geltenden Fassung. Für den Einsatz
sonstiger Kommunikationshilfen werden die angemessenen
Kosten erstattet.
Nach oben
Öffentliche Stellen im Sinne des § 6 Abs. 1 sollen auf
Verlangen im Schriftverkehr mit den Bürgern im Rahmen
der technischen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten
sowie rechtlichen Bestimmungen eine Behinderung
von Menschen berücksichtigen. Die Vorschriften
über Form, Bekanntgabe und Zustellung von Verwaltungsakten
bleiben hiervon unberührt
Nach oben
.
Öffentliche Stellen im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 gestalten
ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von
ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen,
die mit Mitteln der Informationstechnik
dargestellt werden, im Rahmen der technischen, finanziellen
und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten
so, dass sie von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich
uneingeschränkt genutzt werden können. Die
Anforderungen zur barrierefreien Gestaltung orientieren
sich an den Standards der Barrierefreie Informationstechnik-
Verordnung vom 17. Juli 2002 (BGBl. I S. 2654)
in der jeweils geltenden Fassung.
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Dritter Abschnitt
Rechtsbehelfe
Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten
nach diesem Gesetz verletzt, können an ihrer Stelle und
mit ihrem schriftlichen Einverständnis Verbände nach §12
Abs. 1, die nicht selbst am Verfahren beteiligt sind, Rechtsschutz
beantragen. In diesen Fällen müssen alle Verfahrensvoraussetzungen
wie bei einem Rechtsschutzersuchen
durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.
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(1) Ein nach § 13 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes
vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467, 1468) in
der jeweils geltenden Fassung anerkannter Verband oder
dessen baden-württembergischer Landesverband kann,
ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Klage nach Maßgabe
der Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes
auf Feststellung eines Verstoßes gegen § 8
Abs. 3 durch die in § 6 Abs. 1 Satz 1 genannten Behörden
erheben. Satz 1 gilt nicht, wenn eine Maßnahme aufgrund
einer Entscheidung in einem verwaltungs- oder sozialgerichtlichen
Streitverfahren erlassen worden ist.
(2) Eine Klage ist nur zulässig, wenn der Verband durch
die angegriffene Maßnahme in seinem satzungsgemäßen
Aufgabenbereich berührt ist. Soweit ein Mensch mit Behinderungen
selbst seine Rechte durch eine Gestaltungsoder
Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen
können, kann die Klage nach Absatz 1 nur erhoben werden,
wenn der Verband geltend macht, dass es sich bei der
Maßnahme um einen Fall von allgemeiner Bedeutung
handelt. Dies ist insbesondere gegeben, wenn eine Vielzahl
gleich gelagerter Sachverhalte vorliegt. Für Klagen
nach Absatz 1 Satz 1 gelten die Vorschriften des 8. Abschnitts
der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend
mit der Maßgabe, dass es eines Vorverfahrens auch dann
bedarf, wenn die angegriffene Maßnahme von einer obersten
Landesbehörde erlassen worden ist.
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Vierter Abschnitt
Beauftragter der Landesregierung für die Belange
von Menschen mit Behinderungen
Der Ministerpräsident kann einen Beauftragten der Landesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen
(Landes-Behindertenbeauftragter) für die
Dauer der Legislaturperiode bestellen.
Nach oben
(1) Der Landes-Behindertenbeauftragte wirkt darauf hin,
dass die Verpflichtung des Landes, für gleichwertige Lebensbedingungen
für Menschen mit und ohne Behinderungen
zu sorgen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen
Lebens erfüllt wird. Er setzt sich bei der Wahrnehmung
dieser Aufgabe dafür ein, dass unterschiedliche
Lebensbedingungen von Frauen und Männern mit
Behinderungen berücksichtigt und Benachteiligungen
beseitigt werden.
(2) Öffentliche Stellen im Sinne des § 6 Abs. 1 sollen den
Landes-Behindertenbeauftragten bei der Erfüllung seiner
Aufgaben unterstützen. Dies umfasst insbesondere die
Verpflichtung zur Auskunftserteilung und Akteneinsicht
im Rahmen der Bestimmungen zum Schutz personenbezogener
Daten.
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Artikel 2 Änderung des Gesetzes über die Planung,
Organisation und Gestaltung des öffentlichen
Personennahverkehrs
Das Gesetz über die Planung, Organisation und Gestaltung
des öffentlichen Personennahverkehrs vom 8. Juni
1995 (GBl. S. 417), geändert durch Artikel 37 der 5. Anpassungsverordnung
vom 17. Juni 1997 (GBl. S. 278),
wird wie folgt geändert:
1. § 6 Abs. 3 wird folgender Satz 2 angefügt:
"Satz 1 gilt entsprechend, wenn Gemeinden nach Absatz
1 Satz 2 oder Landkreise nach § 2 Abs. 1 der
Landkreisordnung tätig werden."
2. § 11 Abs. 3 Satz 2 wird nach Nummer 4 folgende
Nummer 5 angefügt:
"5. Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche
Maßnahmen zur Verwirklichung einer möglichst
weitreichenden Barrierefreiheit im öffentlichen
Personennahverkehr."
3. In § 12 Abs. 1 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
"Soweit Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte
der Aufgabenträger vorhanden sind, sind diese
anzuhören."
Nach oben
Das Straßengesetz in der Fassung vom 11. Mai 1992 (GBl.
S. 330, ber. S. 683), zuletzt geändert durch Artikel 148 des
Gesetzes vom 1. Juli 2004 (GBl. S. 469), wird wie folgt
geändert:
1. § 9 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) Satz 2 wird folgender Halbsatz angefügt:
" ; dabei sind die sonstigen öffentlichen Belange
einschließlich des Umweltschutzes sowie die Belange
von Menschen mit Behinderungen und anderer
Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung mit
dem Ziel, möglichst weitreichende Barrierefreiheit
zu erreichen, zu berücksichtigen."
b) Satz 3 wird gestrichen.
2. § 16 Abs. 1 wird folgender Satz angefügt:
"Eine Erlaubnis soll nicht erteilt werden, wenn Menschen
mit Behinderungen durch die Sondernutzung in
der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt
würden."
Nach oben
Dieses Gesetz tritt am ersten Tage des auf die Verkündung
folgenden Monats in Kraft.
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