I. Entwicklung und Einordnung
Die §§ 104 -113 BGB regeln die Geschäftsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit eines Menschen zur wirksamen Teilnahme am Rechtsverkehr.
Minderjährige sind bis zur Vollendung ihres siebenten Lebensjahrs geschäftsunfähig, danach beschränkt geschäftsfähig.
Bis Ende 1991 wurde ein Erwachsener wie ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger behandelt, wenn er
"wegen Geistesschwäche, Verschwendung, Trunksucht oder Rauschgiftsucht entmündigt oder (...) nach § 1906 unter vorläufige
Vormundschaft gestellt" war (§ 114 BGB alte Fassung). Die Entmündigung behinderter und psychisch kranker Menschen und die
Vormundschaft für Volljährige wurden mit dem Betreuungsgesetz 1992 abgeschafft. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung
ihre Angelegenheiten rechtlich nicht oder nur teilweise besorgen können, erhalten nun auf Antrag oder von Amts wegen einen
gesetzlichen Betreuer. Ihre Geschäftsfähigkeit wird hiervon nicht berührt.
Das geltende Recht erklärt nur noch die Rechtsgeschäfte von Erwachsenen für nichtig, die nach § 104 Abs. 2 BGB als
geschäftsunfähig gelten oder sich vorübergehend in einem vergleichbaren Zustand befinden, § 105 BGB. Im Zuge der Reformen zur
gesetzlichen Gleichstellung behinderter Menschen wurde geschäftsunfähigen Erwachsenen 2002 in § 105a BGB aber die Möglichkeit
eingeräumt, mit geringfügigen Mitteln rechtswirksame Geschäfte des täglichen Lebens zu tätigen. Gleichzeitig wurde im Mietrecht
in § 554a BGB das Recht der Mieter auf barrierefreie Nutzung der Mietsache verankert.
II. Wesentlicher Inhalt
Mit Vollendung des 18.Lebensjahres sind Menschen voll geschäftsfähig. Etwas anderes gilt gemäß § 104 Abs. 2 BGB nur,
wenn Menschen aufgrund einer "krankhaften Störung ihrer Geistestätigkeit" nicht mehr zur freien Willensbestimmung in der
Lage sind. Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt nach Auffassung des BGH vor, wenn jemand dauerhaft nicht
imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend
gewonnenen Einsichten zu handeln (BGH NJW 1996, 918). Eine leichte Beeinflussbarkeit, ausgeprägte Vergesslichkeit oder
starke Willensschwankungen begründen aber noch keine Geschäftsunfähigkeit. Die überwiegende Zahl der Menschen mit der
Diagnose einer geistigen Behinderung hat eine leichte Intelligenzminderung. Ihre eingeschränkten Möglichkeiten, sich
zu informieren und zu bilden, erschweren ihnen in der Regel die Teilnahme am Rechtsverkehr, ohne diese jedoch unmöglich
machen. Eine Geschäftsunfähigkeit ist erst ab einem IQ von weniger als 60 in Betracht zu ziehen (BayObLG FamRZ 91, 608).
Ob ein Mensch geschäftsunfähig ist, haben Gerichte unter Zuziehung von Sachverständigen zu entscheiden. Die Geschäftsunfähigkeit
kann sich auch nur auf einen gegenständlich abgrenzbaren Bereich von Geschäften, z.B. auf Bank- und Kreditgeschäfte oder die
Prozessführung beziehen (BVerwGE 30,25), dies wird als partielle Geschäftsunfähigkeit bezeichnet. Abgelehnt wird hingegen
eine relative Geschäftsfähigkeit für besonders schwierige Geschäfte, da diese zu Abgrenzungsproblemen und erheblicher
Rechtsunsicherheit führen würde.
Rechtsgeschäfte von Personen, die geschäftsfähig sind, sich aber vorübergehend in einem Zustand der Bewusstlosigkeit oder
Störung der Geistestätigkeit befinden, sind nichtig, § 105 BGB. Die Vorschrift dient dem Schutz von Menschen, die unter dem
Einfluss von Drogen, in akuten psychotischen Krisen oder aus ähnlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, die Tragweite
ihres Handelns zu erfassen.
Eine gesetzliche Betreuung (§ 1896 BGB) hat weder entmündigenden Charakter, noch kann aus einer gesetzlichen Betreuung auf die
Geschäftsunfähigkeit der Be-treuten geschlossen werden.
Die Rechtsgeschäfte Geschäftsunfähiger sind nichtig, § 105 BGB. Wer in Unkenntnis der Sachlage Verträge mit einem
geschäftsunfähigen Menschen schließt, hat erhaltene Leistung zurückzuerstatten. Ausgenommen sind Geschäfte des täglichen
Lebens, die geschäftsunfähige Menschen mit geringfügigen Mitteln getätigt haben. Diese Geschäfte werden rechtswirksam,
sobald Leistung und Gegenleistung erbracht sind, § 105a BGB. Welche Geschäfte solche des alltäglichen Lebens sind, richtet
sich nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, welche Mittel geringfügig sind, nach dem durchschnittlichen Preis- und
Einkommensniveau. Unter § 105a BGB fallen beispielsweise Nahrungs- und Genussmittel in handelsüblichen Mengen, Kosmetikartikel,
Bücher, Tonträger, Kino- und Friseurbesuche.
Im Jahr 2000 hatte das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf Art.3 Abs.3 S. 2 GG ("Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden") der Verfassungsbeschwerde eines Mieters stattgegeben, der für seine querschnittgelähmte Lebensgefährtin
einen Lift im Treppenhaus einbauen wollte und hierfür von seinem Vermieter die Zustimmung verlangte (BVerfG NJW 2000,
2658-2660 = Behindertenrecht 2000, 175-176). Der Gesetzgeber hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen
und in § 554a BGB das Recht von Mietern auf eine barrierefreie Nutzung der Mietsache geregelt. Der Vermieter einer Wohnung
oder eines Hauses hat danach bauliche Veränderungen zu dulden, die der Mieter auf eigene Kosten vornimmt, sofern diese
erforderlich sind, um die Wohnung behindertengerecht nutzen zu können und der Mieter hieran ein berechtigtes Interesse hat.
Der Vermieter kann allerdings verlangen, dass die Arbeiten fachgerecht durchgeführt werden, der Mieter bei Auszug wieder den
früheren Zustand herstellt und die gesamten Kosten des Um- und Rückbaus trägt. Der Vermieter kann seine Zustimmung von der
Leistung einer angemessenen Sicherheit für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands abhängig zu machen, § 554a Abs.1
BGB. Darüber hinaus kann er verlangen, dass der Mieter alle erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen für den Umbau
einholt, die Verkehrssicherungspflicht für Einbauten übernimmt (z.B. Schneeräumen auf der Rampe) und verbleibende Risiken ggf.
durch eine Haftpflichtversicherung absichert (BT-Drs. 14/5663, 78).
Maßnahmen zur behinderungsgerechten Nutzung der Wohnung, die die Bausubs-tanz und andere Hausbewohner nicht beeinträchtigen,
sind als vertragsgemäßer Gebrauch einzustufen und können daher grundsätzlich ohne Zustimmung des Vermieters vorgenommen
werden, § 535 BGB. Hierzu zählt z.B. die Montage von Halte- und Stützgriffen in Sanitärräumen.
III. Durchsetzbarkeit
Wer sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf die Nichtigkeit einer Willenserklärung wegen Geschäftsunfähigkeit § 104 Abs. 2 BGB
oder einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit nach § 105 Abs. 2 BGB beruft, hat deren Voraussetzungen zu beweisen.
Die Geschäftsunfähigkeit hat grundsätzlich auch die Prozessunfähigkeit zur Folge (§ 52 ZPO). Als Prozessfähigkeit, im FGG auch
Verfahrensfähigkeit genannt, bezeichnet man die Fähigkeit, innerhalb eines Gerichtsverfahrens Erklärungen abzugeben, Anträge
zu stellen und Rechtsmittel abzulegen. Prozessunfähige Menschen bleiben rechtsfähig, d.h. Träger von Rechten und Pflichten
und können als solche auch klagen und verklagt werden. Sie müssen sich jedoch vor Gericht bei den Prozesshandlungen vertreten
lassen. Wer nach § 104 Abs.2 BGB als geschäftsunfähig gilt, bleibt aber in allen Verfahren prozessfähig, die Maßnahmen aus
Anlass seines Geisteszustands betreffen (BVerfGE 10, 302 (306); BGHZ 70, 252) und kann in diesen Verfahren auch wirksam einen
Anwaltsvertrag auf der Basis der gesetzlichen Gebühren schließen. Das gilt insbesondere im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren
§§ 66, 70a FGG.
Mieter, die ihre Wohnung barrierefrei umbauen wollen (§ 554a BGB), bedürfen hierzu der Zustimmung des Vermieters. Verweigert
dieser seiner Zustimmung innerhalb einer ihm gesetzten angemessen Frist ohne berechtigten Grund, so kann der Mieter beim
Amtsgericht (Abteilung Mietsachen), in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich die Wohnung liegt, Klage auf Zustimmung erheben.
Zurück zum Inhaltsverzeichnis