Einleitung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
(Andreas Jürgens)

I. Entwicklung und Einordnung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) wurde nach langen und heftigen politischen Debatten verabschiedet. Mit dem AGG sollen eine Reihe von EU-Richtlinien umgesetzt werden, in denen die Gleichbehandlung im Arbeitsrecht und/oder im Zivilrecht vorgesehen ist. Die RL 2000/43/EG schreibt die Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vor, die RL 2000/78/EG hat die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zum Gegenstand, die RL 2004/113/EG befasst sich mit der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugaung zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen und die RL 2006/54/EG zur Gleichbehandlung der Geschlechter in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Nur die RL 2000/78/EG beinhaltet ausdrücklich ein Benachteiligungsverbot aufgrund einer Behinderung, beschränkt auf den Bereich des Arbeitsrechts. Im AGG wurden aber auch Regelungen zur Gleichbehandlung im Zivilrecht für behinderte Menschen aufgenommen.

Seine verfassungsrechtliche Grundlage hat das AGG vor allem in den Benachteiligungsverboten des Art. 3 GG, hinsichtlich behinderter Menschen v.a. des Art. 3 Abs. 3 Satz 23 GG "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt weren" (siehe III. Verfassungsrecht).

II. Wesentlicher Inhalt

Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus verschiedenen Gründen, u.a. "einer Behinderung" zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1). Der Begriff der Behinderung wird im Gesetz selbst nicht definiert. Zurückgegriffen werden kann auf die übereinstimmenden Definitionen in § 2 SGB IX und § 3 BGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn ein behinderter Mensch wegen der Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 Abs. 1 AGG). Nicht ausgeschlossen ist damit die sogenannte "positive Diskriminierung", also eine Besserstellung aufgrund der Behinderung. Wegen der Behinderung bedeutet, die Behinderung muss der Grund für die Schlechterbehandlung sein. Dies setzt voraus, dass der Diskriminierende überhaupt Kenntnis von der Behinderung hat. Insbesondere bei nicht-sichtbaren Behinderungen — z.B. chronischer innerer Krankheiten, Diabetes etc. — kann dies von Bedeutung sein. Wer nicht weiß, dass sein möglicher Vertragspartner behindert ist, kann ihn auch nicht wegen der Behinderung benachteiligen.

§§ 6 bis 10 AGG regeln das Benachteiligungsverbot für Beschäftigte. Sie dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes — also auch einer Behinderung — benachteiligt werden. Eine unterschiedliche Behandlung ist allerdings wegen besonderer beruflicher Anforderungen zulässig (§ 8 AGG). So wäre es keine Benachteiligung, wenn Blinde als Berufskraftfahrer oder Gehbehinderte als Bergführer nicht in Betracht kommen. Die §§ 11 und 12 begründen Pflichten der Arbeitgeber zur Einhaltung der Gleichbehandlung.

Der Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr gilt für behinderte Menschen außer im Rahmen des Arbeitsrechts nur beim Abschluss von so genannten Massengeschäften und bei Versicherungsverträgen. Massengeschäfte sind solche, die "typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen" (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Das gilt für die meisten Geschäfte des täglichen Lebens: Einkauf von Waren des allgemeinen Bedarfs (Lebensmittel, Bekleidung, Möbel etc.), Besuch von Veranstaltungen (Kino, Theater etc.), gastronomische Betriebe (Restaurant, Kneipe, Bar etc.), Beherbergungsverträge (Hotel, Jugendherberge) oder Dienstleistungen (Rechtsanwalt, Notar, Steuerberater, Arzt). Bei letzteren ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Schutz vor Benachteiligungen nicht gilt bei zivilrechtlichen Schuldverhältnissen, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis begründet wird (§ 19 Abs. 5 AGG). Das gilt z.B. in der Regel. beim Arzt, zumal beim Hausarzt, oder beim Abschluss von Gesellschaftsverträgen. Bei einem Mietvertrag für liegt ein Massengeschäft in der Regel ersnicht vorliegt, wenn der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet (§ 19 Abs. 5 Satz 3). Das Benachteiligungsverbot gilt für die Begründung, Durchführung und Beendigung vondes Vertragsverhältnissens.

Das Benachteiligungsverbot gilt für alle Versicherungsverträge, die nach dem 22. Dezember 2007 abgeschlossen werden. Versicherungsunternehmen dürfen behinderte Menschen grundsätzlich nicht anders behandeln als alle anderen. Eine Ungleichbehandlung von behinderten Menschen in Versicherungsverträgen ist aber zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 AGG). Steht z.B. statistisch fest, dass querschnittgelähmte Menschen eine geringere Lebenserwartung haben, kann ihnen bei der Risikolebensversicherung eine höhere Prämie berechnet werden. Gibt es aber keine Erkenntnisse darüber, dass blinde Menschen aufgrund der Blindheit mehr oder höhere Schäden im Haushalt verursachen, darf ihnen bei der Hausratversicherung keine höhere Prämie abverlangt werden.

III. Durchsetzbarkeit

Das AGG enthält eine Reihe von Regelungen zur Durchsetzung der Benachteiligungsverbote. Wenn ein behinderter Mensch im Arbeitsverhältnis benachteiligt wird, hat er zunächst ein Beschwerderecht (§ 13 AGG). Er kann sich bei den zuständigen Stellen, beim Arbeitgeber, beim unmittelbaren Vorgesetzen, beim Betriebsrat, bei der Schwerbehindertenvertretung etc. beschweren und auf Abhilfe dringen. Wenn der Arbeitgeber daraufhin untätig bleibt, hat der behinderte Arbeitnehmer ein sogenanntes Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG), d.h. er kann die Arbeit einstellen, ohne seinen Lohnanspruch zu verlieren. Und schließlich hat er einen Anspruch auf Schadensersatz (§ 15 AGG). Dazu gehört auch ein Schmerzensgeld, das er für seinen immateriellen Schaden verlangen kann. Die Ansprüche müssen innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG). Im Streitfalle ist das Gericht zuständig, das für Streitigkeiten aus dem Beschäftigungsverhältnis zuständig ist: bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern also das Arbeitsgericht, bei Beamtinnen und Beamten das Verwaltungsgericht.

Bei einer Benachteiligung bei Massenverträgen oder Versicherungsverträgen kann zunächst die Beseitigung der Benachteiligung verlangt gefordert werden (§ 21 Abs. 1 AGG). Das kann dazu führen, dass der Vertragsschluss noch verlangt werden kann, wenn daran noch Interesse besteht. Auch hier kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden für immaterielle Schäden beansprucht werden, also ein Schmerzensgeld.

Auch diese Ansprüche müssen innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 21 Abs. 5 AGG). Für eine gerichtliche Geltendmachung sind die Zivilgerichte (Amts- oder Landgerichte) erstinstanzlich zuständig. § 22 enthält eine so genannte Beweislastregelung. Danach reicht im Streitfall aus, dass Indizien bewiesen werden, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Das können z.B. Äußerungen während eines Bewerbungsgesprächs sein. Oder oder die Tatsache sein, dasswenn ein weniger qualifizierter Bewerber eingestellt wird. Oder Ein Indiz ist auch, wenn behinderte Menschen in der Disko abgewiesen werden, weil es angeblich zu voll ist, nicht behinderte Menschen aber durchaus noch hinrein gelassen werden. Wenn solche Indizien bewiesen werden, dann muss die Gegenseite beweisen, dass keine Benachteiligung wegen der Behinderung stattgefunden hat.

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