Einleitung zum Familienrecht
(Julia Zinsmeister)

I. Entwicklung und Einordnung

Das Familienrecht regelt die rechtlichen Beziehungen der Familienmitglieder untereinander und zu Dritten. Gesetzliche Grundlage des Familienrechts bilden das 4.Buch des BGB, das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG), das Gewaltschutzgesetz sowie eine Reihe weiterer Vorschriften. Das Familienrecht umfasst das Recht der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare und regelt die Unterhaltsansprüche zwischen Familienangehörigen. Die Rechtsbeziehungen von Paaren, die weder verheiratet noch eingetragene Lebenspartner sind, hat der Gesetzgeber im Familienrecht bewusst nicht geregelt. Etwas anderes gilt nur in Bezug auf ihre Rechtsstellung als Eltern gegenüber gemeinsamen Kindern und im Falle häuslicher Gewalt (Gewaltschutzgesetz). Die Vorschriften über das Verhältnis von Eltern und Kind klären Fragen der Abstammung, des Sorge- und Umgangsrechts, die Stellung von Pflegefamilien und die Adoption. Können Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise nicht ausüben, setzt das Vormundschaftsgericht einen Vormund oder Ergänzungspfleger für das Kind ein. Wo immer Eltern zur Wahrnehmung ihrer Er-ziehungs- und Betreuungspflichten auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, sei es in Form eines Kindergartenplatzes, einer Erziehungsberatung oder der Fremdunterbringung des Kindes in der Pflegefamilie, greifen das Familienrecht und das Sozialrecht eng ineinander. Für Familien mit behinderten Familienmitgliedern sind hier nicht nur diese Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII, sondern ggf. auch die der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII relevant. Die Jugendämter sollen die Familien im Bedarfsfall durch geeignete Leistungen unterstützen, sie haben zusammen mit den Familiengerichten aber auch die Funktion des staatlichen Wächters über das Kindeswohl. Die einzelnen Aufgaben und Befugnisse des Jugendamtes sind im SGB VIII, dem Gesetz der Kinder- und Jugendhilfe geregelt.

II. Wesentlicher Inhalt

Die Familie genießt den besonderen Schutz des Staates. Art. 8 EMRK sichert jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, in § 23 der UN-Behindertenkonvention haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, Kindern mit Behinderungen nach Möglichkeit ein Leben in ihrer Familie zu sichern und den Familien hierzu alle erforderlichen Hilfen und Dienste zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten erkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen im heiratsfähigen Alter an, auf der Grundlage des freien und vollen Einverständnisses der künftigen Ehegatten eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen. Sie sollen sicherstellen, dass die Reproduktionsfreiheit behinderter Menschen geschützt wird und sie Zugang zu altersgemäßer Information sowie Aufklärung über Fortpflanzung und Familienplanung und ihnen die notwendigen Hilfen zur Ausübung ihrer Rechte zur Verfügung gestellt werden. Die Vertragsstaaten haben sicher zu stellen, dass das Sorge- und Umgangsrecht behinderter Eltern geschützt wird und ihnen ihre Kinder nur entzogen werden können, wenn das Kindeswohl dies erfordert. Auch die Behinderung eines Kindes kann alleine nicht rechtfertigen, es von seiner Familie zu trennen.
Auch das Grundgesetz schützt die Familie. Art.6 GG erklärt die Sorge für das Kind zum vorrangigen Recht aber auch der vorrangigen Pflicht der Eltern. Aufgabe des Staates ist es, Ehe und Familie zu schützen und über die Betätigung der Eltern zu wachen.
Soweit das Familienrecht Regelungen enthält, die die Rechte von Familien mit einem oder mehreren behinderten Angehörigen oder die Rechte einzelner Familienmitglieder einschränken, sind diese stets an den vorgenannten Rechtsgarantien zu messen und auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken.
Die Reproduktionsfreiheit behinderter Menschen wird durch §§ 1631 c BGB und 1905 BGB geschützt. Diese Vorschriften wurden 1992 in das BGB eingefügt, um die bis dato verbreitete Sterilisation behinderter Menschen, insbesondere Mädchen und Frauen einzuschränken. Die Sterilisation Minderjähriger wurde generell verboten. Erwachsene Menschen entscheiden frei darüber, ob sie sich sterilisieren lassen wollen. Eine solch freie Entscheidung ist denjenigen Menschen nicht möglich, die einwilligungsunfähig, d.h. krankheits- oder behinderungsbedingt dauerhaft nicht in der Lage sind, zu erfassen, was eine Sterilisation ist, wozu sie vorgenommen wird und mit welchen Risiken der Eingriff verbunden ist. Sollte bei ihnen dennoch das konkrete Risiko einer ungewollten Schwangerschaft bestehen, die auszutragen der Frau nicht zuzumuten ist, so kann unter den sehr engen Voraussetzungen des § 1905 BGB ein gesetzlicher Betreuer an ihrer Stelle mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in ihre Sterilisation einwilligen. Anderen Verhütungsformen, die die Fertilität erhalten, ist aber stets der Vorzug zu geben.
Nach § 1304 BGB kann ein Mensch, der geschäftsunfähig ist, nicht die Ehe einge-hen. Interessanterweise findet sich im LPartG keine entsprechende Vorschrift für gleichgeschlechtliche Partner. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist § 1304 BGB eng auszulegen. Die Geschäftsunfähigkeit muss sich konkret auf die Ehe beziehen. Eine solche ehebezogene Geschäftsunfähigkeit liegt ausnahmsweise vor, wenn ein Mensch aufgrund einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit nicht in der Lage ist, die Bedeutung seiner Einwilligung in die Ehe, deren Wesen und die sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten zu erfassen und seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Wer im allgemeinen Rechtsverkehr als geschäftsunfähig gilt, kann daher gleichwohl in Bezug auf die Ehe partiell geschäftsfähig sein (vgl. BVerfG NJW 2003, 1382-1383 = FamRZ 2003, 359; BayObLG FamRZ 1997, S. 294).
§ 1673 Abs.1 BGB erklärt, dass die elterliche Sorge eines geschäftsunfähigen Elternteils ruht. Auch hier kann sich der Begriff der Geschäftsunfähigkeit nur auf die konkrete Fähigkeit zur freien Willensentscheidung in Bezug auf die elterliche Sorge beziehen. Es bestehen aber Bedenken, ob § 1673 Abs.1 BGB nach Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention durch Deutschland weiter angewendet werden kann. Art. 23 UN-Behindertenkonvention verpflichtet die unterzeichnenden Vertragstaaten, Einschränkungen der Personen- und Vermögenssorge, der Adoption von Kindern oder ähnlichen Rechtsinstituten nur vorzunehmen, wenn dies zum Schutz des Kindeswohls erforderlich ist. Die Rechtswirkung des § 1673 Abs.1 BGB "Ruhen der elterlichen Sorge" tritt aber ohne Rücksicht auf das Wohl des Kindes ein. Tatsächlich wird mit Blick auf das Kindeswohl schön länger diskutiert, ob § 1673 Abs.1 BGB neben §§ 1666 f. BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) noch ein eigener Regelungsgehalt zukommt. Sind Eltern wegen ihrer Behinderung nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Rechte und Pflichten als Sorgerechtsinhaber wahrzunehmen, hat der Staat bereits nach § 1666 BGB alle erforderlichen Maßnah-men zum Schutz des Kindeswohls zu treffen. Die Tatsache, dass Eltern mit der Diagnose einer geistigen Behinderung ihren Haushalt nicht eigenständig organisieren und ihre Kinder nicht angemessen fördern können, rechtfertigt noch nicht die Herausnahme des Kindes aus der Familie (BVerfG NJW 1982, 1379). Den Eltern sind vielmehr zunächst alle geeigneten und erforderlichen Hilfen anzubieten, insbesondere Leistungen des Jugendamtes oder der Eingliederungshilfe (§ 1666a BGB). Erweisen sich diese als nicht ausreichend, um das Kindeswohl zu schützen, ist das Familiengericht berechtigt, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen und/oder die Trennung des Kindes von den Eltern zu veranlassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Bundesrepublik 2002 wegen der Missachtung des Familienlebens, nachdem das Familiengericht einem lernbehinderten Ehepaar seine beiden Kinder entzogen und diese in getrennten Inkognito-Pflegefamilien untergebracht hatte, in denen sie mehrere Monate ohne Kontakt zur Herkunftsfamilie lebten. Die Tatsache, dass die Kinder in einem für ihre Erziehung günstigeren Umfeld untergebracht werden könnten, rechtfertigte es nach Auffassung des EGMR nicht, die Mädchen der Betreuung ihrer biologischen Eltern gewaltsam zu entziehen und sie ihren Eltern zu entfremden (EGMR FamRZ 2002, 1393 = RdLH 2002, 126).

III. Durchsetzbarkeit

Familiensachen fallen in die sachliche Zuständigkeit der Familien- und Vormund-schaftsgerichte. Diese sind Abteilungen des Amtsgerichts. Die Familiengerichte verhandeln Kindschafts-, Unterhalts-, Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen sowie Wohnungszuweisungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Das Vormundschaftsgericht entscheidet über Fragen der Adoption, der Vormundschaft und Pflegschaft für Minderjährige und über die gesetzliche Betreuung erwachsener Menschen. Das Vormundschaftsgericht gehört zusammen mit dem Nachlassgericht zur freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die besonderen Verfahrensregeln, z.B. der Amtsermittlungsgrundsatz gelten (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG). Viele Aufgaben und Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind Rechtspflegern übertragen.
Für die Verfahren vor den Familiengerichten gelten die Regelungen der ZPO mit wenigen Abweichungen. So finden Gerichtsverhandlungen vor dem Familiengericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten vor dem Familien- und Vormundschaftsgericht ermöglicht das Gesetz den Einsatz von Verfahrenspflegern, die die Interessen der Kinder vertreten ("Anwalt des Kindes") und hierzu eigene Anträge und andere Prozesshandlungen vornehmen können.

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