Einleitung Zivilrecht
(Julia Zinsmeister)

I. Entwicklung und Einordnung

Das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander. Sein Kernstück bildet das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1896, das 1900 in Kraft trat und seit dem vielen Reformen unterworfen war, ohne dabei seine Grundstruktur zu verändern. Es ist in fünf Bücher unterteilt. Das erste Buch regelt allgemeine Vorschriften zur Rechts- und Geschäftsfähigkeit von Personen sowie die Möglichkeit ihrer rechtsgeschäftlichen Vertretung. Das zweite Buch umfasst das Recht der Schuldverhältnisse, darunter wichtige Vertragstypen wie den Kauf-, Dienst- und Mietvertrag. Das dritte Buch des BGB widmet sich dem Besitz und Eigentum sowie dessen Einschränkung durch Vorkaufsrechte, Hypotheken und andere dingliche Rechte (Sachenrecht). Das vierte Buch regelt das Familienrecht einschließlich des Betreuungsrechts, das fünfte Buch das Erbrecht.
Für die Gleichstellung behinderter Menschen sind im Zivilrecht vor allem die Regelungen zum Verbraucherschutz und die Antidiskriminierungsvorschriften relevant. Viele dieser Vorschriften sind nicht im BGB, sondern in anderen Gesetzen verankert. Zum allgemeinen Schutz von Arbeitnehmern finden sich neben den Regelungen zum Dienstvertrag §§ 611 ff BGB beispielsweise verschiedene Arbeitsschutzgesetze (z.B. das Kündigungsschutzgesetz KSchG). Regelungen zur Gleichstellung benachteiligter Gruppen von Arbeitnehmern finden sich insbesondere im Schwerbehindertenrecht (SGB IX Teil 2) und Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG trat 2006 in Kraft. Es dient der Transformation der EU-Antirassismusrichtlinie, EU-Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf sowie den EU-Genderrichtlinien zur Beschäftigung und Dienstleistungen. Es schützt behinderte Menschen nicht nur vor Diskriminierung wegen der Behinderung, sondern verbietet auch ihre Benachteiligung aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, des Alters oder der sexuellen Identität.
In die vorliegende Sammlung wurden darüber hinaus Vorschriften aufgenommen, die weder dem Verbraucherschutz zugeordnet, noch als klassisches Antidiskriminierungsrecht bezeichnet werden können. Sie regeln besondere Bedingungen für die Teilhabe behinderter Menschen am Rechtsverkehr und haben damit gleichheitsrechtliche Relevanz. So wurde 1992 mit der Reform durch das Betreuungsgesetz die Entmündigung erwachsener Menschen abgeschafft und damit die Rechtsstellung vieler behinderter Bürgerinnen und Bürger grundlegend verbessert. Es verbleibt eine kleine Gruppe von Menschen, denen der Gesetzgeber auch mit oder nach Eintritt der Volljährigkeit keine volle Handlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit in rechtlichen Angelegenheiten einräumt. So erklärt § 104 Abs. 2 BGB Menschen für geschäftsunfähig, die sich dauerhaft in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befinden, § 827 BGB regelt Haftungsbeschränkungen für Schäden, die Menschen in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand verursachen, § 1304 BGB regelt die Eheunfähigkeit von Menschen, die krankheits- oder behinderungsbedingt dauerhaft das Wesen der Ehe und der damit verbunden Rechte und Pflichten der Eheleute nicht zu erfassen vermögen. § 1673 BGB erklärt, dass die elterliche Sorge eines Elternteils ruht, wenn dieser krankheits- oder behinderungsbedingt außerstande ist, die Bedeutung seiner Sorgepflicht zu erfassen. Schließlich können intellektuelle Einschränkungen und psychische Erkrankungen Einfluss auf die rechtliche Fähigkeit eines Menschen haben, selbstbestimmt seinen letzten Willen in einem Testament zu formulieren (Testierfähigkeit, § 2229 BGB). Hiervon abzugrenzen ist die Möglichkeit und das im BeurkG verankerte Recht kommunikationsbehinderter Menschen, ihren frei gebildeten Willen in der ihnen möglichen Kommunikationsform zu testieren (BVerfGE 99, 341 = NJW 1999, S. 1853).

II. Wesentlicher Inhalt

Das BGB sichert den Bürgerinnen und Bürgern ihre Vertragsfreiheit im allgemeinen Rechtsverkehr. Die Privatautonomie beruht auf dem Prinzip der Selbstbestimmung und dem Leitbild gleich starker Vertragspartner, die ihre persönlichen, geschäftlichen und rechtlichen Verhältnisse unabhängig und selbstverantwortlich gestalten können. Wer sich auf ungünstige Vertragsbedingungen einlässt, hat dies grundsätzlich selbst zu vertreten und die Rechtsfolgen zu tragen. Im allgemeinen Geschäftsverkehr treffen freilich nicht immer gleich starke Partner aufeinander. Wie frei ein Mensch tatsächlich Verträge aushandeln kann, hängt nicht alleine von seinen intellektuellen Fähigkeiten und Erfahrungen in geschäftlichen Angelegenheiten ab, sondern auch von seinen ökonomischen Möglichkeiten, seiner sozialen Ausgangsposition und von seinem jeweiligen Vertragspartner. Auch eine Behinderung kann Menschen in ihrer faktischen Vertragsfreiheit beschränken. Menschen, die barrierefreie Umgebung angewiesen ist, steht nur noch ein geringes Angebot an Arbeitsplätzen und Wohnungen zur Verfügung. Viele Produkte, Informations- und Serviceangebote sind nicht für alle Menschen gleichermaßen nutzbar. Menschen mit Behinderungen können sich mit Vorurteilen konfrontiert sehen und sind im Rechtsverkehr möglicherweise auf leicht verständliche oder anders wahrnehmbare Informationen und persönliche Unterstützung angewiesen.
Droht sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung aufgrund seiner erheblich geschwächten Verhandlungsposition und der einseitigen Lastenverteilung in eine Fremdbestimmung zu verkehren, so ist der Staat zum Schutz der Grundrechte aufgefordert, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren (BVerfGE 103, 89, 101; BVerf-GE 81, 242-263).
Der Gesetzgeber setzt der Vertragsautonomie daher zum Schutz bestimmter Gruppen gesetzliche Grenzen. Er hat den Schutz von Menschen vor Diskriminierung jedoch nicht einheitlich geregelt ist. Die entsprechenden Vorschriften sind in verschiedenen Gesetzen verstreut. Häufig greifen allgemeine Verbraucherschutzbestimmungen und spezielle Diskriminierungsregelungen ineinander. Je nach Form der Diskriminierung (z.B. Geschlechter-, Alters- oder Behindertendiskriminierung) und Vertragsart gilt ein unterschiedliches Schutzniveau. In vielen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens ermöglicht das Recht es Privatpersonen und privaten Wirtschaftsunternehmen nach wie vor, andere Bürgerinnen und Bürger wegen der Behinderung, aus ethnischen oder religiösen Gründen zu benachteiligen. Eine Grenze bildet dann nur noch § 138 BGB, der wucherische und andere sittenwidrige Verträge für nichtig erklärt.
Zivilrechtliche Vorschriften zum Verbraucherschutz sind darauf gerichtet, dem Ungleichgewicht zwischen Unternehmern und Verbrauchern entgegenzuwirken. So sind zum Beispiel Allgemeine Geschäftsbedingungen ("das Kleingedruckte") unwirksam, wenn sie Verbraucher unangemessen benachteiligen, §§ 305 ff. BGB. Die zivilrechtlichen Vorgaben werden häufig von öffentlich-rechtlichen Maßnahmen zum Verbraucherschutz flankiert (z.B. der Kontrolle von Gewerbebetrieben durch die Gewerbeaufsicht oder das Gesundheitsamt). Im Zivilrecht hat der Schutz von Arbeitnehmern und Mietern die früheste und am weitesten reichende gesetzliche Ausprägung erfahren, da Arbeit und Wohnen besonders existentielle Bedeutung haben.
Neben den allgemeinen Schutzvorschriften für Arbeitnehmer und Mieter (z.B. Kündigungsfristen, Mietpreisbindung) sind besondere gleichheitsrechtliche Bestimmungen zu beachten. Das Schwerbehindertenrecht - SGB IX, Teil 2 - zielt auf den Abbau der Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter, zivil- und öffentlichrechtliche Instrumente wurden hierzu eng verzahnt (z.B. Benachteiligungsverbot, Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe). Ergänzend hierzu gelten für alle behinderten Beschäftigten die Vorschriften des AGG.
Das AGG verbietet auch die Diskriminierung von Mieterinnen und Mietern wegen ihrer Behinderung, ihrer ethnischen Herkunft, sexuellen Identität oder anderen Gründen. Allerdings gilt dies nicht für alle Mietverhältnisse, sondern nur für Verträge, die von Vermietern mit einem Wohnungsbestand von mehr als 50 Wohnungen geschlossen werden (§ 19 Abs.5 AGG). Der Diskriminierungsschutz von Mietern vor Diskriminierungen wegen der Behinderung wird ergänzt durch § 554a BGB. Die Norm wurde 2001 in das Mietrecht § 554a BGB eingefügt. Sie verpflichtet den Vermieter, Umbaumaßnahmen des Mieters zu dulden, die dessen berechtigtem Interesse an einer barrierefreien Nutzung der Mietsache dienen. Der Vermieter kann allerdings verlangen, dass der Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses den früheren Zustand wiederherstellt, die Arbeiten fachgerecht durchführt und die Kosten des Um- und Rückbaus trägt.
In den letzten Jahren wurden Unternehmen des Banken-, Kredit- und Versicherungswesen zur besseren Aufklärung ihrer Kunden und zu mehr Preistransparenz verpflichtet. Verbrauchern ist bei bestimmten Verträgen ein Widerrufsrecht zum Schutz vor übereilten Vertragsabschlüssen einräumt. Von diesen Verbesserungen profitieren alle Verbraucher. Eine Behinderung kann Verbraucher zusätzlich in ihren Informationsmöglichkeiten und Verhandlungsspielräumen einschränken. Aus diesem Grunde erlangen für behinderte Menschen auch Vorschriften zur barrierefreien Kommunikation im Rechtsverkehr gleichheitsrechtliche Bedeutung. Das Beurkundungsgesetz von 1969 regelt die Formerfordernisse öffentlich beglaubigter Erklärungen. 2002 wurden die bis dato geltenden geltenden Regelungen des BeurkG für "Taube, Stumme, Blinde" und schreibunfähige Personen im Interesse der Gleichstellung behinderter Menschen reformiert. Für blinde und sehbehinderte Menschen führte die Reform des Urheberrechts im Jahr 2008 zu Verbesserungen: Der in das Urhebergesetz (UrhG) neu eingefügte § 45a nimmt Vervielfältigungen von Werken (z.B. digitale Kopien) vom Urheberrechtsschutz zugunsten derjenigen behinderte Menschen aus, die das Werk in seiner auf dem freien Markt erhältlichen Form nicht wahrnehmen könnten.
Im Übrigen sind Unternehmen bislang aber nicht verpflichtet, ihre Produkte und Dienstleistungen in einer für alle Menschen gleichermaßen wahrnehmbaren und nutzbaren Form anzubieten. Der Gesetzgeber hoffte bisher, die Unternehmen zur freiwilligen Selbstverpflichtung bewegen zu können und hat hierzu im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG) das Instrument der Zielvereinbarung verankert.

III. Durchsetzbarkeit

Zivilrechtsstreitigkeiten fallen in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Rechtsgrundlage des Zivilprozesses bilden das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und die Zivilprozessordnung (ZPO). Der Instanzenzug in der Zivilgerichtsbarkeit umfasst das Amtsgericht, das Landgericht, das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof.
Die Arbeitsgerichte bilden mit dem Arbeitsgericht (ArbG), dem Landesarbeitsgericht (LAG) und dem Bundesarbeitsgericht (BAG) einen eigenen Instanzenzug. Hier gelten abweichende Verfahrensregeln, die im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) niedergelegt sind.
Amtsgerichte sind in Abteilungen untergliedert. Neben der allgemeinen Zivilabteilung gibt es an jedem Amtsgericht ein Familien- und ein Vormundschaftsgericht. In die sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte fallen Kindschafts-, Unterhalts-, Ehe-und Lebenspartnerschaftssachen sowie Wohnungszuweisungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Das Vormundschaftsgericht entscheidet über Fragen der Adoption, der Vormundschaft und Pflegschaft für Minderjährige und über die gesetzliche Betreuung erwachsener Menschen. Das Vormundschaftsgericht gehört zusammen mit dem Nachlassgericht zur freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die besondere Verfahrensregeln gelten (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG). Insbesondere gilt hier der sonst nur im öffentlichen Recht geltende Grundsatz der Amtsermittlung, d.h. das die Gerichte nicht an den Vortrag der Parteien gebunden sind, sondern von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Umstände ermitteln. Viele Aufgaben und Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind Rechtspflegern übertragen. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit erlässt das Gericht seine abschließende Entscheidung in Form eines Beschlusses, gegen den das Rechtsmittel der Beschwerde und ggf. das der weiteren Beschwerde gegeben ist.
Die anderen Abteilungen des Zivilgerichts entscheiden in der Sache hingegen per Urteil. Gegen Urteile des Amtsgerichts kann als Rechtsmittel Berufung eingelegt werden, sofern die Beschwerdesumme, d.h. der Wert des noch streitigen Interesses, 600,- EUR übersteigt. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Streitwert über 5.000 EUR beträgt, entscheiden die Landgerichte bereits in erster Instanz (ausgenommen sind Mietsachen), auch hiergegen ist die Berufung ab einer Beschwerdesumme von 600,-EUR zulässig.
Eine Revision zum BGH findet nur statt, wenn das Berufungsgericht (Landgericht oder Oberlandesgericht) diese zugelassen hat oder eine Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat. Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder der Fortbildung des Rechts oder der Vereinheitlichung der Rechtsprechung dient (§ 543 ZPO). Während in der Berufungsinstanz nochmals der Sachverhalt geklärt und neue Tatsachen vorgetragen werden können ("Tatsacheninstanz"), überprüft das Revisionsgericht die vorangehende Entscheidung nur noch auf Rechtsfehler. Gefragt wird also nicht mehr, ob sich etwas tatsächlich so wie behauptet und ggf. auch bewiesen, zugetragen hat, sondern nur, wie diese behaupteten Vorgänge rechtlich zu bewerten sind.
In den letzten Jahren hat die außergerichtliche Streitschlichtung an Bedeutung gewonnen. Viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verfügen über Zusatzqualifikationen als Mediatoren. Kreditinstitute, Industrie-, Handels- und Ärztekammern verfügen über eigene Schlichtungsstellen, in einigen Bundesländern können vermögensrechtliche Ansprüche von geringem Streitwert, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Ansprüche wegen Ehrverletzungen erst nach einem außergerichtlichen Schlichtungsversuch vor Gericht geltend gemacht werden (Schlichtungszwang). Informationen über zwingende oder freiwillige Schlichtungsmöglichkeiten erteilen die Rechtsantragstellen der Amtsgerichte. Auch in anderen vermögensrechtlichen Angelegenheiten kann es sich anbieten, nicht sofort Klage zu erheben, sondern erst ein gerichtliches Mahnverfahren zu beantragen (§§ 688 ff. ZPO). In Rechtsstreitigkeiten, in denen der Anspruchsgegner seine Zahlungspflicht nicht bestreitet, sondern einfach zahlungsunwillig oder unfähig ist, ermöglichen Mahnverfahren eine vergleichsweise günstige und unbürokratische Rechtsdurchsetzung. Entsteht doch Streit über die geltend gemachte Forderung, kann der Anspruchsgegner gegen den Mahnbescheid Widerspruch oder gegen den Vollstreckungsbescheid Einspruch einlegen und so das Mahnverfahren in ein normales streitiges Verfahren überführen.

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