NETZWERK ARTIKEL 3
Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.
informiert über
Internet-Standards umsetzen
Vortrag von Andreas Bethke - Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten
in Studium und Beruf e.V. (DVBS) Marburg auf der Tagung «Gleich richtig stellen» Gleichstellung für Behinderte von der Kommune bis zur UN am 26./ 27. Juli 2003 in Bremen

Anlässlich der Eröffnung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen im Februar in Magdeburg hatte ich die folgenden Ziele formuliert:
Wenn das Jahr der Menschen mit Behinderungen genügend Rückenwind entwickelt, so dass bis zu seinem Weihnachtsfest
- Bund und Länder zusätzliche Beratungskompetenz sicher gestellt haben,
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der Internetauftritt einer Kommune als Positivbeispiel präsentiert werden kann,
ein standardisiertes Prüfverfahren etabliert und
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eine Zielvereinbarungsverhandlung – wenn nicht im Bereich Internet, so doch vielleicht im Bereich der Automatentechnologie – initiiert ist,
dann hat sich dieses Jahr im Hinblick auf die informationelle Teilhabe behinderter Menschen tatsächlich gelohnt.
Es ist Halbzeit bis Weihnachten oder anders betrachtet: Es war ziemlich genau vor einem Jahr, dass wir mit der Barrierefreie Informationstechnik Verordnung die jetzt geltende völlig neue Basis für unsere Arbeit bekamen. Der Zeitpunkt ist also gut gewählt zu prüfen, wo auf dem Weg zu mehr zugänglicher und nutzbarer Information wir derzeit stehen.
Lassen Sie mich dafür kurz aus der Praxis des Projekts «Barrierefrei informieren und kommunizieren (BIK)» berichten.
Das Projekt entwickelt Prüfinstrumente für Internetseiten und CD ROMs, es baut sechs regionale Beratungsstellen auf, die Musterseiten erarbeiten, Webseiten und CD ROMs analysieren, Anbieter und Nutzer beraten, Vorträge halten und einiges mehr.
Informations- und Beratungsbedarf
Die Projekt-Seite bik-online.info verzeichnete im Juni rund 25.000 Pageviews (Zahl der einzeln angezeigten Seiten). Allein die ergänzenden Seiten dvbs-online.de/bik und barrierefreies-webdesign.de verzeichneten weitere rund 40.000 Pageviews. Das sind bereits beachtliche Zahlen. Die Entwicklung im letzten Halbjahr möchte ich anhand der Hits (hier werden alle Zugriffe auf einzelne Elemente der Seiten gezählt) verdeutlichen. So hatte bik-online.info im Januar noch rund 44.000 Hits, im Juni waren es schon etwa 75.000. Und noch eine andere Zahl: BIK startete im April 2002 mit einem einzigen Berater in Marburg. Mittlerweile hat das Projekt sechs mehr als ausgelastete Experten.
Einige „Highlights“
- Die „Macher“ der Seite sgb-ix-umsetzen.de haben frühzeitig um Rat gebeten und anschließend eine gute Seite auf die Beine gestellt.
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Cynapsis und Sitepark sind Unternehmen, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Informations-Portalen von Unternehmen und Städten anbieten. Nach einer Informationsveranstaltung im Rahmen eines von Sitepark organisierten "Städtetags", bei dem BIK "Barrierefreie Websites" präsentierte, hat dieses Thema bei vielen Gästen aber auch bei Mitarbeitern und Geschäftsführung eine neue Priorität bekommen: „Barrierefreie Gestaltung“ wird nun zum Standard, Abweichungen - in erster Linie wegen Internet-Browsern, die nicht den aktuellen Standards entsprechen - werden kostenpflichtige Erweiterungswünsche. Ein erstes Beispiel dieser neuen strategischen Ausrichtung der Unternehmen liegt mittlerweile auf den Entwicklungsservern von Konica in Europa vor. Die Seiten sind sehr gut gelungen und nah an "Best Practice".
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Der Deutsche Multimedia Verband vergibt jedes Jahr einen Preis für innovative Websites. Erstmals konnte dabei von BIK jetzt auch auf Barrierefreiheit geprüft werden. Das nicht unerwartete Ergebnis: Eine einzige Seite war „gut“ zugänglich, alle anderen bewegten sich zwischen „ausreichend“ und „mangelhaft“. Dieses Ergebnis schlug sich auch in der Berichterstattung nieder.
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Stiftung Warentest beurteilte unter Nutzung des BIK-Knowhows 20 Weiterbildungsdatenbanken. Die Testergebnisse berücksichtigten deutlich den Aspekt der Barrierefreiheit.
„Schwarze Löcher“
- Nach wie vor gibt es bei manchen Bundesministerien Widerstand gegen die Umsetzung der BITV. „Die Skalierbarkeit von Seiten“ werde ich rechtlich prüfen lassen“, so beispielsweise eine aktuelle „ministerielle Unsicherheit“. In einigen Bereichen drohen Umsetzungsfristen überschritten zu werden.
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Nach wie vor gibt es keine Kommunen mit „Best Practice“-Beispielen.
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Keine Ausnahme ist nach wie vor das Missverständnis: Barrierefreiheit = Nur-Text-Seiten. „Ich will nur meine Textversion geprüft haben“, ist in diesem Sinne beispielsweise der standhafte Standpunkt eines Landkreises in Bayern.
Und noch ein Stück Beratungsalltag
Bereits hunderte von Homepage-Analysen wurden von unseren BIK-Beratern durchgeführt. In vielen Fällen beobachten wir dabei das folgende Schema: Kontaktaufnahme, Kurzanalyse, nichts mehr. Die Ursachen hierfür sind leicht zu erklären: Meist sollen fertig entwickelte Seiten begutachtet werden. Viele Änderungen, die vorzunehmen wären, hätten bereits bei der Planung berücksichtigt werden müssen. Im Nachhinein erfordern sie durchaus einigen Arbeitsaufwand.
Bislang wurden lediglich sechs Websites als "Best Practice" eingestuft (ohne die Musterseiten: dvbs-online.de und barrierefreies-webdesign.de).
Zusammenfassend gesagt
Das Interesse steigt, der Beratungsbedarf ist riesig, aber die Umsetzung kommt nur schleppend voran.
Was ist zu tun?
Antworten auf diese Frage lassen sich aus unseren Projekterfahrungen wie folgt ableiten:
- Aspekte der Barrierefreiheit müssen dringend prüfungsrelevante Bestandteile von Studien- und Ausbildungsgängen werden. Wir wünschen uns dafür eine Initiative der Bundesregierung.
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In Landesgleichstellungsgesetzen müssen auch Kommunen zu barrierefreier Informationstechnik verpflichtet werden. Geschieht dies nicht, so müssen die Länder zumindest kostenfreie Beratungskompetenz anbieten/finanzieren. Wir fordern entsprechende Initiativen der Länder.
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Es reicht nicht aus, in die Behindertengleichstellungsgesetze der Länder Artikel zur barrierefreien Informationstechnik aufzunehmen. Besonders wichtig sind die sie ausgestaltenden Rechtsverordnungen. Erst sie legen Standards, Fristen etc. fest. Wir wünschen uns von den Ländern zeitnahe Rechtsverordnungen, die die Standards der BITV übernehmen. Bei einem globalisierten Medium würden verschiedene Standards nur Anbieter und Nutzer verunsichern, Information, Beratung die Schaffung von Ausbildungsmodulen erschweren und Mehrfacharbeit bei der Fortschreibung der Standards im wahrsten Sinne des Wortes „kosten“.
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Die Blinden- und Sehbehindertenorganisationen werden im September beraten, welche Zielvereinbarungsverhandlungen sie vorrangig in Angriff nehmen sollen. Damit sie sich dabei auch auf den Bereich der Informationstechnik konzentrieren können, brauchen sie Prüfungsstandards, auf die sich die Beratungsprojekte geeinigt haben. Entsprechende Entwicklungen und Einigungen müssen von den Projekten umgesetzt werden. BIK ist dazu bereit und bringt sein Knowhow entsprechend in das projekteübergreifende „Aktionsbündnis barrierefreies Internet“ ein.
Ihr E-Mail-Kontakt an das
Tagungsbüro ottmar.miles-paul@bifos.de
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Rolf Barthel am 26.07.03
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Donnerstag, dem 01.01.1970, 01:00