Schutz 0811

Emine Kalali mit Assistenzhund Yascha Sherlock Foto: ISLBerlin: Am 6. Juni 2023 berichteten die kobinet-nachrichten, dass die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) mit dem Assistenzhund Yascha Sherlock, der fortan die ISL-Mitarbeiterin Emine Kalali begleitet, ein neues Teammitglied begrüßen konnte. Wie es mittlerweile mit Ihrem ersten Assistenzhund läuft, welche Höhen und Tiefen es gibt, dazu interviewte Ottmar Miles-Paul vom Projekt Diskriminierungsschutz verbesseren Emine Kalali. Deutlich wurden dabei nicht nur die massiven Defizite in Sachen Kenntnis zu Assistenzhunden beim Standesamt Berlin-Mitte, sondern auch die damit verbundene Diskriminierung, die Emine Kalali als Trauzeugin mit Assistenzhund erleben musste.

Ottmar Miles-Paul: Am 6. Juni 2023 berichteten die kobinet-nachrichten, dass die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) mit Ihrem Assistenzhund Yascha Sherlock ein neues Teammitglied begrüßen konnte. Wie läuft es mittlerweile mit Ihrem ersten Assistenzhund?

Emine Kalali: Es läuft wunderbar. Es ist sehr schön die Entwicklung von Anfang an zu erleben und täglich mehr zusammenzuwachsen. Auch zu den Kolleg*innen entwickelt sich eine Beziehung und man merkt, wie Yascha Sherlock in seinen Aufgaben aufgeht und stolz auf sich ist, wenn er mehr und mehr weiss, was von ihm erwartet wird.

Inzwischen kommt Yascha Sherlock regelmäßig mit mir ins Büro und hat seinen festen Platz hinter meinem Schreibtisch. Bei Meetings liegt er ruhig dabei und wartet ab, bis das Meeting vorbei ist, oder aber kommt zu mir. Wenn er im Einsatz ist darf er mit keinen Kolleg*innen in Kontakt treten, auch schon, weil ein Assistenzhund grundsätzlich nicht einfach ohne Erlaubnis zu anderen Leuten soll, da es ja auch Menschen gibt, die Angst vor Hunden haben. Daran üben wir zum Teil noch. Er ist ja noch in Ausbildung. Im Büro lass ich ihn für manche auch kurz aus dem Dienst, da es Kolleg*innen gibt, die gerne mal zwischendurch mit ihm kuscheln. Auf Meetings ausserhalb tritt er mit niemandem in Kontakt und ist nur an meiner Seite.

Auch für mich ist es natürlich eine Entwicklung. Ein Hundewelpe erfordert unglaublich viel Energie und Konsequenz, was nicht immer einfach ist, gerade wenn man selbst auch Einschränkungen hat, die ebenfalls Aufmerksamkeit und Energie bedürfen. Aber auch da habe ich mit meinen Hundetrainer*innen, die mich in der Ausbildung anleiten, sehr kompetente Begleiter*innen, die mich an den richtigen Stellen auffangen. Mein Leben hat sich letztlich auf jeden Fall komplett und zum Guten verändert!

Ottmar Miles-Paul: Im Rahmen Ihrer Tätigkeit für die Fachstelle Antidiskriminierungsberatung behinderter Menschen sind Sie mit Ihrem Assistenzhund auch beruflich viel unterwegs. Wie reagieren die verschiedenen Akteur*innen darauf?

Emine Kalali: Wir konnten hier tatsächlich im letzten halben Jahr einige Erfahrungen sammeln. Wir waren bereits auf Dienstreise in Bremen, inklusive Übernachtung im Hotel, und waren auch schon auf zwei Pressekonferenzen unterwegs sowie bei diversen Vernetzungsveranstaltungen. Da ich von einer Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen komme, sind viele Akteur*innen im vornherein bereits etwas sensibilisierter auf angemessene Vorkehrungen und für die Voranmeldung offen. Ich melde den Assistenzhund im vornherein an und bitte meist jemanden kurz zu Beginn der Veranstaltung ein Briefing zu geben, dass der Hund bitte ignoriert werden muss und auch am Eingang den Personen mitzuteilen, dass der Hund Zugangsrecht hat. Das klappt wie gesagt, in den meisten Fällen sehr gut.

Auch hier ist es natürlich ein Learning auf meiner Seite einerseits und sehr abhängig von den betreffenden Stellen andererseits. Blindenhunde sind ja recht bekannt in Deutschland – bei anderen Assistenzhunden sieht es da leider schon anders aus. Wenn sich die Ansprechpartner*innen etwas auskennen, hilft es meist schon, dass alle Kolleg*innen vorab geschult werden und es keine Probleme gibt. Wenn Menschen noch nie etwas von Assistenzhunden gehört haben, erfordert es doch schon etwas mehr Arbeit. Das ist nicht immer leicht, weil es zum Teil auch emotional sehr belastet und man in unangenehme Situationen kommt, wie zum Beispiel sich bedanken zu müssen, dass man teilhaben darf (was Menschen mit Behinderungen ja zugute kennen), oder dass man gefragt wird, welche Diagnosen man hat, was einfach sehr übergriffig ist, aber in dem Fall oft gar nicht verstanden wird.

Was oft vorkommt ist leider trotz der Kennweste, dass der Hund angesprochen oder sogar angefasst wird. Das darf nicht sein, da Assistenzhunde im Einsatz sich stets auf Ihre*n Teampartner*in konzentrieren müssen, um gegebenenfalls ihre Aufgaben zu erfüllen. Viele Menschen, die diskutieren, warum der Hund nicht an bestimmte Orte darf, wissen zum Beispiel nicht, dass der Hund

a) erkennbar als Assistenzhund gekennzeichnet ist,

b) mit nichts und niemandem Kontakt aufnehmen darf,

c) keinerlei Aggressionen aufzeigen darf,

d) auch nicht an irgendwelche Sachen rangehen/schnüffeln oder ähnliches darf und

e) sich stets ruhig und unauffällig verhält (außer er ist mit der/dem Teampartner*in in Kontakt, da kann es auch zum anspringen/bellen o.ä. kommen, weil er eine Assistenzhund-Aufgabe mit erfüllt).

Durch dieses Verhalten kann man sich natürlich auf einen gewissen Standard bei Assistenzhunden verlassen, was bei Bekanntheit einige Bedenken klären könnte. Es gibt schon Stellen, die sich Mühe geben solche Dinge bekannter zu machen, aber die Reichweite müsste natürlich noch viel größer werden. Pfotenpiloten hatten hier schon einige Kampagnen gestartet, wie zum Beispiel Aufklärungsbroschüren in verschiedenen Sprachen zu Assistenzhunden und ihren Zutrittsrechten: https://www.pfotenpiloten.org/zutrittskampagne/

Ottmar Miles-Paul: Es ist aber nicht immer alles easy, wie Sie mir im Vorgespräch zu dem Interview anhand eines Beispiels auf dem Standesamt berichtet haben. Was war da los?

Emine Kalali: Das war sehr traurig. Eigentlich war es ein sehr schönes Ereignis, da meine beste Freundin im Standesamt Berlin Mitte geheiratet hat und mich als Trauzeugin wollte. Für uns war es eigentlich selbstverständlich, dass eine öffentliche Stelle Menschen mit Behinderungen keine Steine in den Weg legt, an einem so wichtigen Ereignis in ihren Kreisen teilzunehmen. Ich habe aber direkt den Ausweis über die Mensch-Assistenzhund- Gemeinschaft meiner Freundin gesendet und sie gebeten, den Hund vorab anzumelden. Als sie dies gemacht hat, fragte die Dame vom Standesamt nach einer Bescheinigung, die beweist, dass ich auf die Begleitung angewiesen bin. Allein diese Frage zeugt schon von Unwissenheit und Diskriminierung. Der Ausweis der M-A-Gemeinschaft sagt bereits die Notwendigkeit aus, da kein Mensch einen Assistenzhund bekommt, wenn es nicht notwendig ist. Ich habe jedoch, um keinen Ärger zu machen meinen Schwerbehindertenausweis UND eine ärztliche Bescheinigung eingesendet, dass ich auf die Begleitung angewiesen bin.

Es gab nun mehrere Schriftwechsel, in denen zunächst gesagt wurde, dass ich nicht zur Trauung notwendig wäre und daher keine Pflicht besteht mich reinzulassen. Nachdem sich meine Freundin darüber beschwert hat, hieß es, es wäre nicht möglich, weil alle Standesbeamtinnen Angst vor Hunden hätten, dann dass ihr Chef das abgelehnt hätte, dann dass der Hausbesitzer keine Hunde erlaubt, dann dass der Hund noch zu jung ist (weil er auf seinem Ausweis- Foto ein Welpe war). Letztlich hat die Dame sich gönnerhaft gezeigt und gesagt, dass sie eine Ausnahme macht, aber wir

a) dafür sorgen sollen, dass uns niemand sieht, weil sie sich aufgrund von Antidiskriminierungsgesetzen sonst rechtfertigen müssten, da ja viele Familien gerne ihre Haustiere mitnehmen würden und mein Hund ja kein Blindenhund ist und

b) sie die Trauung kürzen würden, damit der Hund nicht zu lange im Gebäude ist.

Man kann sich vorstellen, wie sehr mich dieses Ereignis mitgenommen hat.

Ottmar Miles-Paul: Wie haben Sie bisher auf diese Diskriminierung reagiert?

Emine Kalali: Leider greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht bei öffentlichen Stellen. Guter Weise gibt es in Berlin aber Landesantidiskriminierungsgesetze. Dort werde ich den Vorfall melden und hoffe auf eine Klärung. Wichtig ist vor allem an dieser Stelle aber auch Öffentlichkeit, denn sowas soll nicht anderen auch passieren müssen.

Ottmar Miles-Paul: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, wie die Situation von Menschen mit Assistenzhunden verbessert werden könnte, welche wären dies?

Emine Kalali: Ich wünsche mir zum einen, dass es eine bessere Aufklärung und Bekanntheit von Assistenzhunden gibt und Menschen verstehen, dass das keine gewöhnlichen Hunde sind und zu ihren Halter*innen untrennbar dazu gehören und auch dass mehr Bekanntheit dahingehend besteht, dass Assistenzhunde beispielsweise ignoriert werden müssen und nicht einfach angesprochen oder gestreichelt werden dürfen.

Zum Anderen wünsche ich mir, wie für alle Menschen mit Behinderungen, dass wir endlich aufhören können, uns ständig bedanken zu müssen für Selbstverständlichkeiten, wie dass wir am gesellschaftlichen oder beruflichen Leben teilhaben können. Und dass Menschen aufhören uns persönliche und übergriffige Fragen zu stellen, die sie selbst auch keinen Fremden beantworten würden. Wir haben die gleichen Rechte auf Zugänge, Teilhabe und Privatsphäre wie alle anderen Menschen auch und es wird Zeit, dass das in Deutschland ankommt!

Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.

Link zum Bericht der kobinet-nachrichten vom 6. Juni 2023 „Neues Teammitglied bei der ISL hat Dienst angetreten“