Brandenburg: Bei windigem, aber noch trockenem, Wetter machte der Mehr Barrierefreiheit Wagen heute am 4. Mai Station in der Stadt Brandenburg. Dr. Sigrid Arnade und Hans-Günter Heiden, die mit dem beschilderten VW Bus noch bis 9. Mai im Rahmen des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen unterwegs sind, sprachen dort mit Dr. Volker Sieger, dem Leiter der Fachstelle Barrierefreiheit u.a. über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und was es für ein gutes Barrierefreiheitsrecht braucht.
Nach seiner Einschätzung zum vorliegenden Gesetzentwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz befragt, führte der Historiker und Politikwissenschaftler Dr. Volker Sieger aus:
"Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erhalten wir nach dem Behindertengleichstellungsgesetz und einigen wenigen Fachgesetzen jetzt einen weiteren Baustein zur Umsetzung von Barrierefreiheit. Erstmals werden auch Private und nicht nur öffentliche Stellen in die Pflicht genommen. Das ist gut, reicht aber bei weitem nicht aus. Wir doktern seit 2002 an der Barrierefreiheit rum, und alle vier Jahre zeigt uns der Teilhabeberiicht der Bundesregierung, dass fehlende Barrierefreiheit zu teils gravierenden Teilhabeeinschränkungen führt. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber viel zu kurz. Mich beunruhigt vor allem der dramatische und zunehmende Mangel an barrierefreiem Wohnraum. Hier muss die nächste Bundesregierung mit klarer Rechtssetzung und Förderszenarien dringend aktiv werden."
Zur von Dr. Sigrid Arnade gestellten Frage des Tages "Warum werden die bisherigen Standards zur Barrierefreiheit nicht konsequent umgesetzt?" antworte Dr. Volker Sieger: "Es hapert an der Umsetzung der Standards, weil in den meisten Bereichen immer noch die rechtliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit fehlt."
Eine Dimension von Barrierefreiheit erläuterte Dr. Volker Sieger im Gespräch am Mehr Barrierefreiheit Wagen an einem Beispiel. "In den letzten Jahren ist viel in den Wohnungsbau investiert worden, auch mit Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau. Die starke Bautätigkeit der letzten Jahre linear hochgerechnet, ergibt sich aber dennoch eine Versorgungslücke an barrierefreiem Wohnraum, für deren rein rechnerische Schließung wir bis 2030 zusätzlich 179.000 barrierefreie Wohnungen pro Jahr benötigen. Das besagt eine Studie des Bundesinnenministeriums aus dem letzten Jahr. Die Verfügbarkeit barrierefreien Wohnraums entscheidet maßgeblich darüber, ob ich dort leben kann, wo ich will. Das ist kein frommer Wunsch von Menschen mit Behinderungen, das hat auch nicht nur etwas mit dem vielbeschworenen Wunsch- und Wahlrecht zu tun. Ohne ausreichenden barrierefreien Wohnraum wird Menschen, die darauf angewiesen sind, strukturell die Freizügigkeit verwehrt. Die Freizügigkeit ist im Übrigen nicht erst eine 'Erfindung' der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie wurde allen Menschen bereits 1948 durch die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zugestanden, findet sich im Grundgesetz und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union."