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Kassandra Ruhm mit ihrem bunten LaptopBremen: Wenn man mit Kassandra Ruhm bei einem leckeren Kaffee und Kuchen zusammensitzt, wie dies Susanne Göbel und Ottmar Miles-Paul vom Projekt Gute Nachrichten zur Inklusion an einem sonnigen Sonntagnachmittag in Bremen erleben durften, dann spürt man förmlich die Energie, die sie in ihrem Wirken für eine vielfältige und bunte Gesellschaft ausstrahlt. Die in Bremen lebende lesbische Frau, die mit einem Rollstuhl, ihrem Handbike und vielen spannenden Ideen unterwegs ist, hat nicht zuletzt mit ihrer Poster-Ausstellung „bunt ist schöner“ viele Impulse für eine vielältige Gesellschaft gegeben. Besonders freut sich die Psychologin, wie zuletzt in ihrer Kolumne in "Die Neue Norm“ der Sozialhelden um Raul Krauthausen geschildert, wenn sie nicht auf ihre Behinderung reduziert wird, sondern wenn ihre umfassenden Erfahrungen zur Sprache kommen können.

"Letzten Samstag war ich mal wieder im Radio. Und, könnt Ihr Euch schon denken, zu welchem Thema? Nein, ganz anders als erwartet, handelte die komplette erste Hälfte des Beitrags von der gesellschaftlichen Situation von queeren Menschen. Dazu war ich als lesbische Fachfrau eingeladen worden. Erst in der zweiten Hälfte des Beitrags ging es um Vorurteile, die mir als behinderter Lesbe in der allgemeinen Gesellschaft entgegen gebracht werden. Wie offen die LGBTIQ*-Szene für behinderte Menschen wäre, wollte der Moderator des Beitrags herausfinden. Nach meiner Diagnose und wie es zu meiner Behinderung gekommen ist, hat er hingegen überhaupt nicht gefragt“, berichtet Kassandra Ruhm in der Kolumne. Und weiter betont sie: "Das hat mich positiv überrascht. Ich weiß nicht, ob Ihr Euch vorstellen könnt, wie schön es war, als Fachfrau zu verschiedenen Themen reden zu dürfen. Und darüber hinaus nicht die altbekannte, unerwünschte Frage zu etwas so Persönlichem und Folgenreichem wie meiner eigenen Krankheitsgeschichte auf möglichst höfliche Weise zurückweisen zu müssen. Ohne dabei die Stimmung im Live-Interview zu verderben. Ich weiß, fürs Publikum kann eine emotional aufgeladene Geschichte über schwere Krankheiten oder dramatische Unfälle sehr anregend sein. Ich selbst möchte aber nicht als Opfer eines tragischen Schicksals herhalten.“

Link zur Kolumne "Die Neue Norm" mit Kassandra Ruhm: https://dieneuenorm.de/kolumne/mein-etappensieg/

Und auch bei anderen Menschen liegt Kassandra Ruhm diese Opferrolle fern, was nicht heißt, dass sie nicht den Finger in die Wunde legt, wenn es darum geht, Diskriminierungen in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen, die unterschiedliche Gruppen von Menschen immer noch erleben müssen. "‘bunt ist schöner‘ ist eine Poster-Serie über Vielfalt und Inklusion, die sich für Respekt vor unterschiedlichen Lebensweisen einsetzt“, stellt sie daher zur Einführung in ihre im Internet eingestellte Poster-Ausstellung klar und betont im Interview zu ihrer Ausstellung: "Ich finde, dass es viele Parallelen zwischen unterschiedlichen Diskriminierungsformen gibt. 'Schwul‘ wird auf Schulhöfen genauso als Schimpfwort verwandt, wie 'Spasti‘ oder 'behindert‘. (Augenscheinlich) muslimische Menschen erleben manchmal, auf ein einziges Merkmal, nämlich ihre Religion reduziert zu werden und daraufhin eine Reihe von Eigenschaften, Verhaltensweisen und Meinungen zugeschrieben zu bekommen. Andere Eigenschaften oder 
Gruppenzugehörigkeiten treten hinter der vermeintlichen Zugehörigkeit zum Islam zurück. Unabhängig davon, ob sie wirklich muslimischen Glaubens sind oder nicht und welche Überzeugungen für sie aus ihrem Glauben folgen. Das äußere Bild zählt mehr, als die tatsächlichen Eigenschaften.“

Link zum Interview mit Kassandra Ruhm zur Poster-Ausstellung: http://kassandra.erinatranslations.de/content/texts/Poster_Interview_2020.pdf

Link zur Poster-Ausstellung „bunt ist schöner“ von Kassandra Ruhm: http://kassandra.erinatranslations.de/index.php?section=posterbunt

Um diskriminierende Verhaltensweisen zu verändern, richtet Kassandra Ruhm auch einen besonderen Blick darauf, wie behinderte Menschen in der Werbung oder in den Medien dargestellt werden, bzw. zu Wort kommen. In der Kolumne "Die Neue Norm" bringt sie dazu ein Beispiel: "Dies Jahr ist ein Kind aus meinem nahen Umfeld eingeschult worden. Weil sie gerne mit Playmobil spielt, habe ich geguckt, was es dort zum Stichwort 'Schule‘ gibt und mir alle 17 Angebote angesehen. Zu meiner Überraschung gab es einen Schulbus mit ausklappbarer Rollstuhlrampe am Heckeinstieg, der aber nicht 'Behindertenfahrdienst‘ hieß oder 'Inklusiver Bus‘. Sondern 'Schulbus‘. Ohne irgendeinen Zusatz dazu. Als ob es das normalste der Welt wäre, dass in Gruppen von Schulkindern auch welche mit Rollstuhl dabei sind und ein normaler 'Schulbus‘ deshalb eine Rampe hat. Genau so normal und selbstverständlich, wie es eigentlich sein sollte. In der 'Schulbus‘-Packung sind 4 Playmobil-Kinder mit unterschiedlichen Hautfarben. Eins davon hat einen Rollstuhl. Einen hübschen.“

Und sie wurde noch weiter fündig bei Playmobil: "Das Modell der 'Großen Schule‘ von 2009 hat viele Stufen. Das Modell der 'Großen Schule‘ von 2018 hat einen Aufzug und dazu noch fünf Rampen, um die Dicke des Plastikbodens des Hauses zu überwinden. Man kann mit einem Rollstuhl in jeden einzelnen Raum hinein fahren. Auf einem der 11 offiziellen Werbebilder wird sogar gezeigt, dass man mit Rollstuhl in die Jungen- und in die Mädchen-Toilette herein kommen kann. Einen Haltegriff gibt es ebenfalls in beiden. Auch die Turnhalle und die anderen Erweiterungsräume, die man getrennt dazu kaufen kann, haben Rampen. Dabei kommt Playmobil noch nicht einmal aus den USA mit dem guten Antidiskriminierungs-Gesetz ADA sondern aus Zirndorf bei Nürnberg. Im Film über das Schulgebäude sieht man ein Mädchen mit Rollstuhl mit dem Aufzug hoch fahren. Der gesprochene Text währenddessen lautet aber nicht: 'Sogar behinderte Kinder können ganz normal dabei sein.‘ Sondern: 'Auf zum Chemie-Unterricht!‘. Ich glaube, ich habe diese Stelle mittlerweile über 20 mal angesehen.“ Kassandra Ruhm beklagt aber auch, dass die Firma leider ihrem Barrierefreiheitsanspruch bei neueren Serien nicht in vollem Umfang treu geblieben ist.

Diese Beispiele zeigen für Kassandra Ruhm positive Veränderungen darin, wie behinderte Menschen in unserer Gesellschaft dargestellt und gesehen werden und welche Rolle sie spielen dürfen. "Nein, wir haben das Ziel des langen Staffellaufs noch nicht erreicht. Längst nicht. Aber den einen oder anderen Etappensieg schon“, betonte sie in ihrer Kolumne bei "Die Neue Norm".

Und wenn man mit Kassandra Ruhm in Bremen unterwegs ist, hat sie auch stets ein waches Auge darauf, wie barrierefrei ihre Umwelt ist. Bei einer Toilette, die die Kriterien zur Barrierefreiheit nicht erfüllte, klebte sie beispielsweise eines ihrer Plakate mit dem Titel "Behinderten-WCs sind keine Abstellräume“, auf dem die erforderliche Beschaffenheit barrierefreier Toiletten erläutert werden, an die Wand. Ganz unkompliziert schwarz-weiß in DIN A4 am heimischen Drucker ausgedruckt.

Link zum Plakat: http://kassandra.erinatranslations.de/content/posterbunt/posterbunt47.html

Mit Kassandra Ruhm erlebt man also nicht nur eine äußerst engagierte Frau in Action, sondern bekommt auch einen ganz anderen Blick auf die Kraft und Schönheit einer bunten und vielfältigen Gesellschaft.

Eine exemplarische Link-Sammlung zu Werbe-Filmen mit behinderten Menschen hat Kassandra Ruhm übrigens auch zusammengestellt, die wir im Folgenden dokumentieren:

Die 3 Lieblingsclips von Kassandra Ruhm mit vielen Protagonist*innen, von denen manche behindert sind, als ein dazugehöriger Teil der Gemeinschaft, Toyota:

09.11.2017 (von jung bis alt, steps) https://www.youtube.com/watch?v=itZrXHWEoWI

03.08.2021 (One Breath, 31 sec.) https://www.youtube.com/watch?v=1ZkUZC04b-Q

14.09.2018 (sehr schöne Bilder) https://www.youtube.com/watch?v=PWJ7MYFpBpY

Toyota-Clips mit einzelnen Sportler*innen (stereotype Darstellung, aber lieber stark und sexy, als hilflos und bemitleidenswert):

Jessica Long, 04.02.2021 https://www.youtube.com/watch?v=Pr3jR2keirk[s3] [s4]

Reihe mit 5 anderen Sportler*innen: https://www.youtube.com/watch?v=NRVDgoyOgmc&list=PLMJ_oV58WE4FN8Y8zzwEJQGKA1t_ZEaO1&index=1&t=19s

Nike:

09.02.2019 https://www.youtube.com/watch?v=eeTJRQy_UJ0

31.07.2020, You Can’t Stop Us, Split-Screan (nur ca. 2 Behinderungs-Sequenzen) https://www.youtube.com/watch?v=GbQomqb28os

Nike Japan:

24.09.2021, New Victory, https://www.youtube.com/watch?v=Q38pv_WpDVg

6.7.2021 über eine der Protagonist*innen von New Victory vom 24.9.2021: https://www.youtube.com/watch?v=GPMvXlSLi5c

Under Armour, US-Sport-Bekleidungsmarken: https://www.youtube.com/watch?v=q4IFyvbsxBM