Schutz 0811

Berlin (kobinet) "BGG-Reform: Kein Behindertengleichgültigkeitsgesetz! Barrieren abbauen - nicht legitimieren", mit dieser Aussage auf einem entsprechenden Sharepic bringt das Aktionsbündnis AbilityWatch auf den Punkt, was viele Verbände und Akteur*innen am Referentenentwurf des Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Reform des Behindertengleichstellungsgesetz kritisieren. "Die Bundesregierung plant die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) und hat einen Referentenentwurf veröffentlicht. Was eigentlich ein Fortschritt sein sollte, ist in Wahrheit ein massiver Rückschritt. Statt Barrieren abzubauen, legitimiert der Entwurf sie. Statt Menschenrechte zu stärken, schafft er Schlupflöcher. Statt Gleichstellung umzusetzen, wird Gleichgültigkeit gesetzlich festgeschrieben. Deshalb nennen wir es beim Namen: es ist ein Behindertengleichgültigkeitsgesetz", heißt es auf der Internetseite von AbilityWatch im Vorfeld des für den 17. Dezember 2025 geplanten Beschlusses des Bundeskabinetts für den Gesetzentwurf. Dieser wird dann vom Bundestag im nächsten Jahr debattiert und dort letztendlich mit eventuellen Änderungen verabschiedet.

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Warum AbilityWatch den Referentenentwurf so einschätzt, erläutert das Bündnis auf seiner Internetseite. Die kobinet-nachrichten dokumentieren im Folgenden die Argumente von AbilityWatch:

1. Moral wird entwertet

Bisher konnten wir uns wenigstens auf eines verlassen: Einen moralischen Common Sense, dass Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen im Einzelfall wichtig und richtig sind

Selbst ohne gesetzliche Verpflichtungen konnten wir appellieren: „Es ist doch klar, dass eine Rampe, eine automatische Tür oder verständliche Kommunikation dazugehört.“  Viele Stellen haben Barrierefreiheit umgesetzt, weil es richtig war.

Ebenso galt: wo Barrierefreiheit, beispielsweise für einzelne Kleinunternehmer, nicht herstellbar war, wurde oft versucht, Lösungen zu finden: „Ich bringe Ihnen gerade die beiden Modelle, die wir vorrätig haben, nach draußen – dann können Sie sie ansehen.“

Doch der neue Entwurf sagt faktisch: „Ihr müsst gar nichts.“

Damit fällt ein wichtiges Druckmittel von behinderten Menschen und deren Verbündeten weg. Wer sich früher aus Verantwortungsgefühl bewegt hat oder auch aus dem Gefühl heraus, dass Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen ohnehin irgendwann als Standard kommen würde, kann sich jetzt bequem auf das Gesetz berufen – und nichts tun.

2. Diskriminierung bleibt erlaubt

Das BGG erkennt Benachteiligung zwar an, aber verhindert sie nicht. Statt klarer Verpflichtungen gibt es unverbindliche Prüfaufträge, Ausnahmen, unverbindliche Schlichtung – aber keine Rechte, die durchsetzbar wären.

Diskriminierung bleibt verhandelbar und soll geschlichtet – statt verboten – werden. Es gibt keinerlei Konsequenzen bei Benachteiligung. Einen Schadensersatzanspruch sucht man vergeblich.

3. Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen werden zur Option – nicht zur Pflicht

Ob Gebäude, digitale Angebote, Formulare oder Kommunikation: Der Entwurf sieht keine echten Verpflichtungen vor.

Im Hinblick auf Benachteiligungen durch fehlende Barrierefreiheit wird überhaupt keine neue Verpflichtung eingeführt! In § 7 Abs. 3 Nr. 2 des neu geplanten Gesetzes wird lediglich das postuliert, was ohnehin feststeht: dass eine Benachteiligung vorliegt, wenn gegen anderswo geregelte Vorschriften zur Barrierefreiheit verstoßen wird. Eine weitergehende Verpflichtung zur Barrierefreiheit soll das BGG für die Privatwirtschaft nicht enthalten.

Durch den Entwurf wird also kein privater Anbieter zu Barrierefreiheit verpflichtet. Es geht im weiteren Text dann nur noch um angemessene Vorkehrungen im Einzelfall (bei fehlender und eben auch nach diesem Gesetz nicht herzustellender Barrierefreiheit)

Der Entwurf sieht nämlich in § 7 Abs. 3 Nr. 3 BGG-RefE nur eine Verpflichtung für „angemessene Vorkehrungen“ vor. Dies aber nur, wenn diese nicht unverhältnismäßig oder unbillig sind. Hier soll dann aber auch direkt klargestellt werden, dass alle baulichen Veränderungen oder Änderungen an Dienstleistungen und Produkten immer unverhältnismäßig und unbillig sind.

Nach dem Motto: nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, dass über die Hintertür der angemessenen Vorkehrung im Einzelfall Barrierefreiheit für alle geschaffen werden müsste.

Kollateralschaden dieser Regelung dürfte aber sein, dass eine faktische Schlechterstellung für Menschen mit Behinderung eintreten wird: oftmals ist der Öffentlichkeit der Unterschied zwischen Barrierefreiheit (für alle) und angemessener Vorkehrung (im Einzelfall) nicht klar, und so wird die Einschränkung bei den angemessenen Vorkehrungen wohl als allgemeiner Grundsatz auch im Hinblick auf Barrierefreiheit verstanden werden.

4. Schlichtung statt Rechte

Statt klarer Standards setzt der Entwurf auf Schlichtung – also auf „sich irgendwie einigen“. Doch Diskriminierung ist nichts, worüber man verhandelt. Barrieren müssen abgeschafft werden, nicht besprochen.

Was wir fordern

  1. Ein BGG, das Barrierefreiheit verbindlich vorschreibt – auch in der Privatwirtschaft. Mit klaren Fristen, Auflagen und Konsequenzen.
  2. Durchsetzbarkeit – kein Papiertiger. Menschen mit Behinderungen brauchen wirksame Rechte, keine Appelle.
  3. Ein starkes Kompetenzzentrum MIT Menschen mit Behinderungen. Keine Expertise über uns – sondern mit uns.
  4. Verpflichtende einfache Sprache und barrierefreie Kommunikation. Für alle – in einer alternden Einwanderungsgesellschaft unverzichtbar.
  5. Schluss mit Alibi-Regelungen. Barrierefreiheit ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.

Wir stehen an einem Wendepunkt. Wenn dieses Gesetz so verabschiedet wird, wird Barrierefreiheit für weitere Jahre ausgebremst und sogar verschlechtert – legitimiert durch ein Gesetz, das Barrierefreiheit bringen soll.

Wir können das stoppen. Aber nur, wenn wir laut sind.

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Werde jetzt aktiv. Gleichgültigkeit ist keine Politik – und keine Option.

Link zum Beitrag von AbilityWatch auf dessen Internetseite