Schutz 0811

Berlin, 17. Dezember 2025: In der vorweihnachtlichen Zeit ist zuweilen mit der einen oder anderen Überraschung zu rechnen. Dass die Bundesregierung immer wieder für eine Überraschung gut ist, hat sie erneut bewiesen - allerdings in einem negativen Sinne. Die ursprüngliche Verabschiedung des Gesetzentwurfs für die Reform des Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), die eigentlich für heute, den 17. Dezember 2025, im Bundeskabinett vorgesehen und angekündigt war, wurde wieder einmal verschoben. Die Macht der Verhinderer, die Verpflichtungen für mehr Barrierefreiheit bzw. angemessene Vorkehrungen für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen, anscheinend wie der Teufel das Weihwasser scheuen, scheint unermesslich zu sein. Ein ohnehin schon von Wirtschaftsinteressen weichgespülter Referentenentwurf scheint nun anscheinend immer noch zu weitreichend zu sein. Und zwar so weitreichend, dass ein nach langer Blockade durch das CDUgeführte Wirtschaftsministerium und das CSUgeführte Innenministerium freigegebener Entwurf nun erneut blockiert wird. Mitte Januar 2026 könnte nun der vierte Akt im Bundeskabinett für eine Gesetzesreform für mehr Barrierefreiheit anstehen, die inzwischen so peinlich ist, dass sie eigentlich niemand mehr so will, wie kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul in seinem Kommentar schreibt.

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Kommentar von Ottmar Miles-Paul

Im ersten Akt dieser unwürdigen Aufführung war es die Ampelkoalition, in der die FDPgeführten Ministerien im Herbst 2024 den bereits angekündigten Referentenentwurf für die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes vor der Verbändeanhörung stoppte. Der Bruch der Ampel, die immer wieder unter anderem von Wilfried Oellers, dem Behindertenbeauftragten der CDU/CSU Fraktion wegen ihrer Untätigkeit für mehr Barrierefreiheit scharf kritisiert wurde, besiegelte dann das Aus für die Gesetzesreform in der letzten Legislaturperiode. Die Bundestagsfraktionen waren auch nicht mehr dazu zu bewegen, den vorliegenden Entwurf fraktionsübergreifend zu verabschieden.

Im zweiten Akt trat die neue Regierungskoalition aus CDU, SPD und CSU damit an, dass die Reform des Behindertengleichstellungsgesetz ins 100-Tage-Programm der neuen Regierung aufgenommen wurde. Im Juli 2025 sollte der Entwurf zur Verbändeanhörung freigegeben werden, Anfang August 2025 sollte der Gesetzentwurf im Bundeskabinett verabschiedet werden. Der Deutsche Bundestag hätte die Gesetzesreform dann bis Jahresende beschließen können. Doch wieder einmal Pustekuchen. Bundesarbeits- und sozialministerin Bärbel Bas, die die Gesetzesreform und den Zeitplan bereits über Facebook angekündigt hatte, wurde von ihren Ressortkolleg*innen aus dem Wirtschafts- und Innenministerium im Regen stehen gelassen. Und da stand sie zusammen mit denjenigen behinderten Menschen, die dringend auf klare Regeln zur Barrierefreiheit auch bei Dienstleistungen und Produkten privater Anbieter warten. Viele konnten dieses Theater schon gar nicht mehr glauben.

So vergingen die ersten 100 Tage der neuen Koalition, so verging der Sommer und wich dem Herbst und auch da war es zuerst düster. Am 19. November 2025 konnte dann der dritte Akt der beschämenden Aufführung beginnen. Der Referentenentwurf wurde veröffentlicht und zur Verbändeanhörung bis 8. Dezember 2025 freigegeben. Die Verbände behinderter Menschen waren zwar entsetzt über die fast vollständige Freisprechung von Unternehmen für Maßnahmen zur Barrierefreiheit und sogar für angemessene Vorkehrungen. Sie lieferten aber brav ihre Stellungnahmen ab, in der sie auch kritiserten, dass Schadenersatzklagen gegen die Unternehmen ausgeschlossen wurden. So manche Akteur*innen hofften, dass ein solcher Entwurf, der einem zahnlosen Tiger gleicht, nicht vom Bundeskabinett verabschiedet wird. Ihr Wunsch wurde nun sogar erhört, aber anscheinend nicht in ihrem Sinne. Denn die für den 17. Dezember 2025 vorgesehene Verabschiedung des Gesetzentwurfs für die Reform des Behindertengleichstellungsgesetz im Bundeskabinett scheiterte anscheinend nicht an den mangelnden Regelungen im Sinne behinderter Menschen. Sie scheiterten anscheinend daran, dass der Entwurf der Wirtschaft und CDU/CSUgeführten Ministerien noch zu weit ging.

Und so biegen wir nun in den vierten Akt der Aufführung ein und es ist ernsthaft zu bezweifeln, dass die CDU/CSU irgendeine Eingebung über Weihnachten ereilen könnte, dass Barrierefreiheit etwas Guten und Wichtiges sein könnte, außer dass sie in Sonntagsreden beschworen und mit Appellen gewürzt wird. Um Wilfried Oellers ist es übrigens recht ruhig geworden und bisher nichts zu hören, was dieses unwürdige Spektakel der unionsgeführten Ministerien soll. Unprofessioneller geht anscheinend immer.

Von den kobinet-nachrichten nach ihrer Meinung zur erneuten Verschiebung der Reform des BGG befragt, konnte die Sprecherin der LIGA Selbstvertretung, Prof. Dr. Sigrid Arnade, nur antworten: „Mir fehlen die Worte“. Etwas, dass bei der Behindertenrechtlerin, die bei den Verhandlungen für die UN-Behidnertenrechtskonvention in New York mit dabei war, so gut wie nie vorkommt. Da ihr tatsächlich die Worte fehlten, bleibt zu hoffen, dass Sigrid Arnade ihre Worte wieder findet und die Bundesregierung verantwortungsvolles Regieren im Sinne der Bürger*innen lernt. Denn Millionen behinderter Menschen und ihre Angehörigen werden tagtäglich von diesem Diletantismus und Unwillen diskriminiert. Denn die nun vorhandenen und nicht weggeräumten Barrieren sind nun von der CDU/CSU gesponsert. Vielen Dank auch!