Berlin: Vor allem im Gesundheitswesen erleben behinderte Menschen nach wie vor vielfältige Diskriminierungen. Müssen wir uns jetzt also freuen, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 18. Oktober 2023 endlich eine kurze Auftaktveranstaltung zum „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ vollzogen hat, der laut Koalitionsvertrag schon seit Ende 2022 vorliegen sollte? Oder sollen wir über die Art und Weise verzweifeln, wie das Lauterbach-Haus das nun anstehende Verfahren zur Erstellung dieses Aktionsplanes angelegt hat? Immerhin soll die Erarbeitung durch einen „partizipativen Prozess“ durchgeführt werden. Aber wie soll dies nun aussehen? Diesen Fragen geht H.-Günter Heiden vom NETZWERK ARTIKEL 3 in seinem Kommentar nach.
Kommentar von H.- Günter Heiden vom NETZWERK ARTIKEL 3
Bundesgesundheitsministerium: Fehlstart für einen Aktionsplan
Müssen wir uns jetzt freuen, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 18. Oktober 2023 nun endlich die kurze Auftaktveranstaltung zum „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ vollzogen hat, der laut Koalitionsvertrag schon seit Ende 2022 vorliegen sollte? Oder sollen wir über die Art und Weise verzweifeln, wie das Lauterbach-Haus das nun anstehende Verfahren zur Erstellung dieses Aktionsplanes angelegt hat? Immerhin soll die Erarbeitung durch einen „partizipativen Prozess“ durchgeführt werden. Aber wie soll dies nun aussehen?
Das BMG hat in einem ersten Schritt für ein „Schriftliches Beteiligungsverfahren“ Formblätter zu insgesamt fünf Handlungsfeldern erstellt, die schon online verfügbar sind. In diese Tabellen kann man oder frau in den nächsten acht Wochen bis zum 15. Dezember 2023 Anregungen eintragen und per E-Mail an das Ministerium schicken. Laut Pressemitteilung geht es danach in einem zweiten Schritt wie folgt weiter: „Nach Auswertung des schriftlichen Beteiligungsverfahrens werden im Frühjahr 2024 erste Fachgespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Organisationen und Verbände durchgeführt, um in einem partizipativen Prozess realistische und umsetzbare Ziele und Maßnahmen zu identifizieren. Ziel ist die Erarbeitung des Aktionsplans bis Sommer 2024.“ Laut Minister rechtzeitig genug, um noch in der restlichen Legislaturperiode gesetzliche Änderungen vornehmen zu können – na ja. Und wie lauten diese fünf Handlungsfelder? Da haben wir „Barrierefreie und inklusive Gesundheitsversorgung“, „Barrierefreiheit in der Langzeitpflege“, „Inklusive Prävention“, „Inklusion durch Digitalisierung“ und schlussendlich „Diversität im Gesundheitswesen“. Ist damit alles erfasst oder gibt es Lücken?
Es kommen die ersten Zweifel bei mir auf: Diese fünf Handlungsfelder wurden ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitet und hören sich eher danach an, dass sie der Referatsgliederung im BMG folgen und in absoluter schwerer Fachsprache verfasst sind. Die eingegangenen Vorschläge werden dann ausschließlich vom BMG-Personal ausgewertet. Nach welchen Kriterien wird dies geschehen? Fehlanzeige! Ich finde dieses Vorgehen sehr intransparent. Über die Beteiligung der Verbände ab 2024 ist noch nichts entschieden, der Deutsche Behindertenrat (DBR) soll immerhin angeschrieben werden, aha!
Ich habe mir nun die Formblätter (angeblich in barrierefreiem Word-Format – ich bin auf die Rückmeldungen der Blinden- und Sehbehinderten-Community gespannt) angeschaut und da werden meine Zweifel stärker: Wenn ich richtig gezählt habe, sind die fünf Handlungsfelder in 18 tabellarisch gegliederte Unterkategorien aufgeteilt. Einer der schönsten Tabellenbezeichnungen lautet schlicht „Etablierung personenzentrierter und digital unterstützter sektoren- und professionsübergreifender Versorgungsprozesse“. Da fallen einem doch sofort viele Maßnahmen ein, die sofort umgesetzt werden müssten, oder? Innerhalb der Tabellen wird dann jeweils untergliedert nach „Ziele“, „Maßnahmen“, „Umsetzungsform“, „Status“ und „Zeitrahmen“. Freifelder fehlen übrigens ganz bei diesem schriftlichen Verfahren.
Und damit sind wir schon bei weiteren Kritikpunkten. Die Formblätter sind in Serifenschrift erstellt – entgegen allen Barrierefrei-Anforderungen. Formblätter in Leichter Sprache fehlen ebenso wie Alternativen in Gebärdensprache. Die gewählte Sprache ist eindimensional nur in Deutsch. Wenn es auch um „Diversität“ und „Kultursensible Verständigung“ gehen soll – hätte man da nicht auch weitere Sprachen anbieten müssen?
Für mich wirkt der nun eingeschlagene Weg zu einem Aktionsplan überhaupt nicht „partizipativ“, sondern paternalistisch-technokratisch und von Zeitdruck geprägt. Ich sehe schwarz für einen wirklich hilfreichen Aktionsplan – und nebenbei bemerkt: In den einleitenden Worten des Ministers war von der UN-Behindertenrechtskonvention oder einem „Menschenrecht auf Gesundheit“ nichts zu hören, eher von ableistischen Wendungen, dass es um die „Schwächsten der Schwachen“ gehe, die aber ihrerseits viel „empathischer“ seien als die Normalbevölkerung. Freude kommt da beim Ausfüllen der Formblätter bei mir nicht auf, Herr Minister!
Link zur Information des Bundesgesundheitsministeriums: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/startschuss-aktionsplan-fuer-diverses-inklusives-barrierefreies-gesundheitswesen.html