Berlin, 15.2.2024: Das zivilgesellschaftliche Bündnis AGG-Reform Jetzt! fordert in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, ihr Koalitionsversprechen zu halten und die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) unverzüglich anzugehen. Millionen Menschen in Deutschland demonstrieren derzeit für Menschenrechte, Demokratie, Vielfalt und gegen Rechtsextremismus auf der Straße. Dies nimmt das zivilgesellschaftliche Bündnis zum Anlass, mit einem Offenen Brief die Bundesregierung erneut an ihr Koalitionsversprechen zu erinnern. Das Projekt Diskriminierungsschutz verbessern des NETZWERK ARTIKEL 3 unterstützt den offenen Brief, wie viele andere Organisationen auch.
Ohne die Rechte und Perspektiven der Betroffenen laufe die aktuelle Empörung in der Politik in Bezug auf Rassismus und Rechtsextremismus ins Leere. Für den Schutz der Demokratie brauche es einen effektiven Diskriminierungsschutz. Die mangelnde Thematisierung seitens der Politik und die darüber wahrgenommene Sanktionsfreiheit bekämen die Betroffenen tagtäglich zu spüren: Im Arbeitsleben, auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen, in Fitnesscentern oder durch staatliche Stellen.
“Das Sagbare hat sich weit nach rechts verschoben. Die zunehmende, völlig unverhohlene Diffamierung bestimmter Gruppen legitimiert die Diskriminierung. Also wird auch diskriminiert. Diejenigen, die diskriminieren, fühlen sich im Recht, weil ihnen das Recht keine Grenzen aufzeigt”, so das Bündnis.
Der Offene Brief beschreibt mit ausgewählten Fallbeispielen aus der Beratungspraxis die Diskriminierungen, die Angst der Betroffenen, ihr Gefühl, nicht geschützt zu sein und die Tatsache, dass ihnen immer wieder vermittelt werde, sie gehörten nicht zu dieser Gesellschaft.
“Wir verzeichnen einen kontinuierlichen Anstieg an Beratungsanfragen. Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein sind Menschen der Überzeugung, dass sie bestimmte Gruppen diskriminieren, ihnen ihr Existenzrecht absprechen dürfen. Dies widerspricht demokratischen Grundprinzipien und dem Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung. Die Politik muss jetzt endlich ein Zeichen setzen und die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) angehen“, heißt es vonseiten des Bündnis.
Der Offene Brief wurde an den Bundeskanzler Olaf Scholz sowie wortgleich an die Bundesminister*innen Dr. Marco Buschmann, Nancy Faeser, Hubertus Heil und Lisa Paus sowie an die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition Rolf Mützenich, Katharina Dröge und Britta Haßelmann und Christian Dürr versandt.
Link zur Presseinformation zum Offenen Brief des Bündnis AGG Reform Jetzt!
Link zum Offenen Brief
Im folgenden dokumentieren die kobinet-nachrichten den Offenen Brief
Offener Brief des Bündnis AGG Reform Jetzt! vom 15. Februar 2024
SONNTAGSREDEN REICHEN NICHT! DEMOKRATIE SCHÜTZEN HEISST MENSCHEN VOR HASS UND DISKRIMINIERUNG SCHÜTZEN!
Derzeit demonstrieren Millionen Menschen in Deutschland. Es geht um Menschenrechte, Demokratie, Vielfalt und Kampf gegen Rechtsextremismus. Das begrüßen wir!
Denn: Der Rechtsruck in politischen und gesellschaftlichen Diskursen, die zunehmende Demokratiefeindlichkeit und das immer unverhohlener gezeigte Autoritarismusdenken hat Folgen. Das Sagbare hat sich weit nach rechts verschoben. Die aktuell medial lautstark geforderten und angekündigten Abschiebungen von Geflüchteten bestärken auch menschenfeindliche Einstellungen. Die Diffamierung legitimiert die Diskriminierung. Also wird auch diskriminiert.
Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein sind Menschen der Überzeugung, dass sie bestimmten Gruppen ihr Existenzrecht absprechen dürfen. Sie diskriminieren migrantisierte, Schwarze Menschen / Afrikaner*innen / afro-diasporische Menschen, Juden* und Jüdinnen, Muslim*innen, Sinti*zze und Rom*nja, LSBTIQA* – Menschen, geflüchtete, behinderte, sozial und ökonomisch benachteiligte Menschen. Sie fühlen sich im Recht, weil das Recht ihnen bisher keine klaren Grenzen aufzeigt!
Seit Jahren melden Beratungsstellen steigende Beratungsanfragen von Betroffenen. Seit einigen Monaten hat sich die Tendenz noch einmal verstärkt. Die mangelnde politische Thematisierung von Diskriminierung und die scheinbare Sanktionsfreiheit bekommen unsere Ratsuchenden täglich zu spüren. Sie haben Angst, sie fühlen sich nicht geschützt und ihnen wird vermittelt: ihr gehört nicht zu dieser Gesellschaft. Ihr seid anders.
● In der Bundesrepublik geborene Kinder mit Migrations- und Diasporageschichte fragen, warum sie abgeschoben werden sollen.
● Eltern mit Migrations- und Diasporageschichte teilen uns mit, dass sie ihre Kinder lieber nicht Yussuf nennen, da sie sonst keinen Kitaplatz bekommen.
● Juden* und Jüdinnen erzählen uns, dass sie Angst haben, sich in der Öffentlichkeit, auf der Arbeit, in der Schule als jüdisch zu erkennen zu geben. Sie fürchten um sich und ihre Kinder.
● Muslim*innen oder als muslimisch gelesene Menschen fühlen sich nicht mehr sicher und erfahren tagtäglich, dass ihre Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt eingeschränkt sind. Das trifft insbesondere Frauen mit Kopftuch.
● Schwarze Menschen / Afrikaner*innen melden, dass sie zunehmend physische und verbale Angriffe im öffentlichen Raum, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln erleben.
● Viele Sinti*zze und Rom*nja berichten uns, dass sie häufig auch durch staatliche Institutionen diskriminiert werden.
● Jugendliche, die nicht den heteronormativen Vorstellungen entsprechen, berichten von zunehmenden Anfeindungen.
● Kranken- und Altenpfleger*innen mit Migrationsgeschichte, die als Fachkräfte kamen, berichten uns, dass sie aufgrund von Diskriminierung wieder weg aus Deutschland wollen. Manche Botschaften führen in ihren konsularischen Schutzabteilungen Sperrlisten von Arbeitgeber*innen, um ihre Staatsbürger*innen vor Diskriminierung zu schützen.
● Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen sind entsetzt, dass wichtige Errungenschaften für eine inklusive Gesellschaft unverhohlen in Frage gestellt werden.
● Viele Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sehen ihre einzige Möglichkeit zu kündigen, weil sie nicht vor Diskriminierung geschützt werden.
Die demokratischen Parteien müssen endlich konkrete Maßnahmen zur Verteidigung der Demokratie auf den Weg bringen. Die aktuelle Empörung in der Politik in Bezug auf Rassismus und Rechtsextremismus läuft ins Leere, wenn sie die Rechte und Perspektiven der Betroffenen sowie die institutionelle Diskriminierung nicht ausreichend im Blick hat. Das Bündnis AGG-Reform Jetzt! mit über 120 Organisationen und 11 grundlegenden Forderungen setzt sich daher für eine unverzügliche Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ein.
Denn: Das Gesetz ist in vielen Fällen von Diskriminierung nicht wirksam und wurde seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2006 dahingehend auch nicht reformiert. Das AGG muss es ALLEN Betroffenen ermöglichen, effektiv gegen die erlebte Diskriminierung vorzugehen. Egal ob sie im Arbeitsleben, auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen, im Fitnessstudio oder durch staatliche Stellen geschieht. Eine Reform des AGG ist auch ökonomisch sinnvoll, um die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarkts für dringend benötigte Fachkräfte zu erhöhen. Laut einer aktuellen OECD-Studie berichtet mehr als die Hälfte der in Deutschland eingewanderten Fachkräfte von Diskriminierungserfahrungen.
All dies ist Ihnen bekannt. Schieben Sie die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nicht weiter auf die lange Bank. Wir unterstützen ausdrücklich die Ihnen bekannten Aktivitäten der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung des Bundes, Ferda Ataman. Wir fordern Sie auf, ihr Koalitionsversprechen, die Reform des AGG, unverzüglich umzusetzen. Die Zeit für die AGG-Reform ist jetzt!
Mit freundlichen Grüßen Bündnis AGG Reform – Jetzt!
Unterstützer*innenliste
• AGABY, Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns
• AlgorithmWatch
• Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS), LIFE e.V.
• Antidiskriminierung-Servicestelle LGBTIQA* „T.O. Hope“
• Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd)
• Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein (advsh) e.V.
• Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, Fair mieten – Fair wohnen
• Berliner Frauenbund 1945
• Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO)
• Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD)
• Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG)
• Bundesverband interkultureller Frauen in Deutschland (BIFeV)
• Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e. V.
• Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI)
• Bundes Roma Verband e.V.
• Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen (BV NeMO)
• Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)
• Bundesverband Trans*
• BQN Berlin
• Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK)
• Citizens for Europe
• CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit
• Cultures Interactive e.V.
• Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst)
• Dachverband der Migrant:innenorganisationen (DaMigra)
• Deutsche Aidshilfe e.V.
• Deutscher Behindertenrat
• Deutscher Juristinnenbund (djb)
• DOSTA – Dokumentationsstelle Antiziganismus Meldestelle bei Amaro Foro e.V., Berlin
• Each One Teach One (Eoto) e.V.
• EJDM – Europäische Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt
• Fachstelle Arbeitsmarkt und Antidiskriminierung (FAMAD)
• Flüchtlingsrat Berlin e.V.
• Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
• Flüchtlingsrat NRW e.V.
• Flüchtlingsrat RLP e.V.
• Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
• Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF)
• Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung (GSPF)
• Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung (GgG)
• Gleichbehandlungsbüro Aachen
• Hydra Berlin
• Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD Bund
• Institut Social Justice und Radical Diversity
• Intergeschlechtliche Menschen e.V.
• KiDs (Berlin)
• Kompetenzzentrum Antidiskriminierung Nordost-Niedersachsen
• Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn e.V
• Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA)
• LIGA Selbstvertretung
• Lesben- und Schwulenverband (LSVD)
• Migrationsrat Berlin
• Mosaik Deutschland e.V.
• neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk (ndo)
• Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. (NDC)
• OFEK e.V. Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung
• Pan-African Women’s Empowerment & Liberation Organisation (PAWLO)-Masoso e.V.
• PRO ASYL – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge • Pro Parents Initiative
• RAA Berlin – Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie
• ReachOut
• rubicon e.V.
• Sächsischer Flüchtlingsrat
• Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF-Verband)
• TIN-Rechtshilfe
• Türkische Gemeinde Deutschland (TGD)
• UP19 Stadtforschung + Beratung GmbH
• Verband binationaler Familien- und Partnerschaften, iaf e.V.
• Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)
• Zentralrat Deutscher Sinti und Rom