Schutz 0811

Kassel / Berlin, 16. August 2024: "Nur die Hälfte der Deutschen versteht Hinweisschilder oder Durchsagen im öffentlichen Verkehr" Mit dem vor zwei Jahren von der Aktion Mensch verbreiteten Sharepic mit dieser Aufschrift hat die Aktion Mensch deutlich gemacht, was die Teilhabe vieler Menschen erschwert. Und fast zwei Jahre ist es nun schon her, dass der Behindertenrechtler Ottmar Miles-Paul eine Eingabe für eine Schlichtung mit dem Bundeministerium für Digitales und Verkehr bei der Schlichtungsstelle nach dem Behindertengleichstellungsgesetz eingereicht hat. Damit setzt er sich für verlässliche und qualitativ gut verständliche Durchsagen und Anzeigen in öffentlichen Verkehrsmitteln ein, denn bisher ist es für den Seh- und Hörbehinderten und viele Andere wie ein Lotteriespiel, ob Haltestellen gut verständlich in Bussen und Bahnen durchgesagt werden. Nach zweijähriger Untätigkeit des Bundesverkehrsministeriums ist Ottmar Miles-Paul nun der Kragen geplatzt und hat sich direkt an den Bundesverkehrsminister gewandt.

Ottmar Miles-Paul ärgert dabei besonders, dass das Bundesverkehrsministerium auf sein Anliegen, die Schlichtung zu einem Ergebnis zu führen, nicht mehr reagiert und damit eine Lösung für das Thema, die das Ministerium so gut wie nichts kosten würde, unnötig in die Länge gezogen wird. Zum Ziel der Schlichtung hatte Miles-Paul bei der Einreichung des Schlichtungsverfahren im September 2022 geschrieben: „Ich beantrage die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit dem Ziel nach konkreten Initiativen und Lösungen zu suchen, wie die Barrierefreiheit flächendeckend durch die Tätigung entsprechender Haltestellendurchsagen gemäß des Zwei-Sinne-Prinzips (in diesem Fall Sehen und Hören) erreicht werden kann, und dementsprechend auf die Verkehrsträger einzuwirken und die geseetzlichen Anforderungen klarzustellen. Neben automatisierten technischen Lösungen sind hierbei m.E., wo diese noch nicht vorhanden sind, angemessene Vorkehrungen für den Übergang dahin zu regeln. Die Durchsagen durch die Fahrer*innen von Bussen und Bahnen sollte in diesem Fall vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr flächendeckend als Übergangsregelung verlangt werden, bzw. mittels eines Rundschreibens an die zuständigen Stellen angemahnt bzw. bei Nichttätigung auf eine Sanktionierung hinzuwirken.“

Doch dazu scheint das Bundesverkehrsministerium nicht bereit zu sein. Zuerst wurde beim Schlichtungsgespräch auf eine Studie hingewiesen. Nach der Veröffentlichung der Studie ist nun aber wieder seit einigen Montaten Funkstille und Miles-Paul sitzt weiterhin in Bussen und Bahnen mit schlecht verständlichen oder gar fehlenden Durchsagen und muss sich zuweilen von Fahrer*innen anraunzen lassen, wenn er entsprechend nachfragt. Und dabei heißt es schon seit langem in § 8 Abs. 3 des Personenbeförderungsgesetzes: „Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Die in Satz 3 genannte Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen. Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Länder können weitere Einzelheiten über die Aufstellung und den Inhalt der Nahverkehrspläne regeln.“

Dass nicht nur Ottmar Miles-Paul mit der Untätigkeit des Bundesverkehrsministerium in Sachen Barrierefreiheit unzufrieden ist, zeigte sich bei den Inklusionstagen 2024 deutlich: „Ich habe keinen Bock mehr bis 2060 oder 2070 zu warten bis die letzte Bushaltestelle barrierefrei ist“, mit diesen Worten und der Frage, was die Verantwortlichen konkret mitgebracht haben, um die Mobilität behinderter Menschen zu verbessern, hat Alexander Ahrens von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) bei der Abschlussdiskussion der Inklusionstage 2024 mit Bundestagsabgeordneten die Stimmung, die über der Veranstaltung schwebte, gut auf den Punkt gebracht. Denn gut ein Jahr vor Ende der derzeitigen Regierungskoalition ist die Ungeduld groß, ob und wann die im Koalitionsvertrag verankerten behindertenpolitischen Maßnahmen endlich verabschiedet werden. War der Beifall bei den früher recht regen Inklusionstagen bei der Diskussion mit den Abgeordneten bisher höflich bis bescheiden gewesen, brandete dieser nach der „Frustattacke“ von Alexander Ahrens förmlich auf. Alexander Ahrens hatte übrigens ein T-Shirt mit der Aufschrift „mit Verspätung ist zu rechnen“ an.

Für Ottmar Miles-Paul und viele Andere, die von schlechten oder fehlenden Haltestellenansagen betroffen sind, ist es mühselig, sich vor Ort dafür einzusetzen. In Nordhessen wird bereits seit zwei Jahren an der Verbesserung der Durchsagen in Bussen und Bahnen gearbeitet – mit bisher mäßigem Erfolg und teilweise sogar mit Rückschritten. Und in Freudenstadt hat sich nach einer Mail von Ottmar Miles-Paul für Durchsagen in den Bussen in zwei Jahren so gut wie nichts getan – trotz Versprechen, die Fahrer*innen zu informieren und zu schulen. Und hier werden touristisch hochinteressante Ziele angefahren, so dass auch nichtbehinderte Fahrgäste immer wieder verunsichert sind, wo sie aussteigen können. Denn dort gibt es so gut wie keine Durchsagen in den Bussen und auch die schriftliche Anzeige fehlt meist, bzw. funktioniert nicht richtig.

„Wer so passiv wie das Bundesverkehrministerium in Sachen Barrierefreiheit agiert, der darf nicht erwarten, dass das Vertrauen in die dort gemachte Politik zunimmt“, ärgert sich Miles-Paul. „Da diese Maßnahmen keine größeren Kosten verursachen würden, bin ich umso enttäuschter vom fehlenden Engagement Ihres Ministeriums. Mir ist bewusst, dass die Zuständigkeit hier in weiten Bereichen bei den Ländern liegt, aber es handelt sich hierbei um ein Bundesgesetz, dass die Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr festschreibt, so dass ein gewisses Engagement aus Ihrem Hause zu erwarten wäre“, betonte Ottmar Miles-Paul in seinem Schreiben an den Bundesminister für Digitales und Verkehr, Dr. Volker Wissing.